Tausende Gemeinden im Südwesten unterversorgt
Mehr aktuelle Beiträge und Einsatzberichte finden Sie in:
FEUERWEHR | RETTEN – LÖSCHEN – BERGEN
Deutschlands große Feuerwehrzeitschrift
JETZT LESER/-IN WERDEN
In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind bei medizinischen Notfällen 2.700 Gemeinden unterversorgt. Betroffen sind potenziell rund 10 Millionen Menschen. Das zeigt eine SWR Analyse aller Rettungsdiensteinsätze im Jahr 2016.
In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind bei medizinischen Notfällen 2.700 Gemeinden (900 BW / 1.800 RP) unterversorgt. Betroffen sind potenziell rund 10 Millionen Menschen. Das zeigt eine SWR Analyse aller Rettungsdiensteinsätze im Jahr 2016. Medizinisch wünschenswert wäre, dass der Rettungsdienst innerhalb von zehn Minuten nach dem Notruf eintrifft. Aus der SWR Analyse geht hervor: Bei jedem dritten Notfalleinsatz waren Rettungskräfte später vor Ort – und das sehr unterschiedlich verteilt im Land. Jeder fünfte Baden-Württemberger und jeder dritte Rheinland-Pfälzer hatte 2016 sogar nur eine 50-Prozent-Chance, dass der Rettungsdienst zehn Minuten nach dem Notruf vor Ort war.
Problemfall gesetzliche Fristen
Notärzte und Fachleute fordern seit Jahren, dass der Rettungsdienst bei schweren Unfällen und Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall innerhalb von zehn Minuten am Notfallort sein soll. Die aktuellen gesetzlichen Fristen orientieren sich jedoch nicht an dem, was medizinisch sinnvoll wäre, sondern lassen grundsätzlich in Baden-Württemberg eine Eintreffzeit bis zu 15 Minuten oder in Rheinland-Pfalz sogar von mehr als 15 Minuten zu. Doch selbst daran gemessen ist ein Teil der Bevölkerung unterversorgt, weil der Rettungswagen in vielen Gemeinden oft später als eine Viertelstunde eintrifft. Das liegt an der Planung der Infrastruktur. Die Hilfsfrist (BW) bzw. die Hilfeleistungsfrist (RP) gelten in erster Linie als Planungswerte, die nicht als Rechtsanspruch auf Hilfe innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zu verstehen sind. Außerdem gibt es zwischen den Gemeinden immense Unterschiede im Versorgungsniveau. In manchen Kommunen sind die medizinisch wünschenswerten zehn Minuten praktisch nie zu erreichen (BW: mindestens 150 Kommunen, RP: mindestens 400 Kommunen).
Bessere Überlebenschancen innerhalb von zehn Minuten Die Recherchen und Analyse des SWR beziehen sich unter anderem auf die Positionspapiere von notärztlichen Vereinigungen und Fachgesellschaften, auf Positionspapiere des Deutschen Roten Kreuzes und auf Beiträge im führenden Standardwerk „Handbuch des Rettungsdienstwesens“. So haben laut Notfallmedizinern Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand oder Herzinfarkt innerhalb der medizinisch wünschenswerten Frist deutlich bessere Überlebenschancen. Auch bei schweren Unfällen spielt die Zeit eine lebenswichtige Rolle. Auch der Notarztverband „agswn“ (Arbeitsgemeinschaft der Notärzte im Südwesten) bekräftigte im Interview mit dem SWR die Notwendigkeit der professionellen Versorgung innerhalb von zehn Minuten. Dr. med. Eduard Kehrberger, stellvertretender Vorsitzender des „agswn“, erklärt: „Eine Zeit von zehn Minuten für das ersteintreffende Rettungsmittel wäre notfallmedizinisch geboten und sinnvoll.“ Kehrberger kritisiert, dass eine Eintreffzeit von zehn Minuten mittlerweile nicht mehr angestrebt und kontrolliert wird: „Über die 10 Minuten reden wir schon lange nicht mehr. Alle Auswertungen laufen auf die 15 Minuten raus. […] [I]n vielen Rettungsdienstbereichen werden auch diese 15 Minuten nicht eingehalten.“ Daher fordert Dr. Eduard Kehrberger im SWR Interview eine deutliche Verschärfung der gesetzlichen Fristen.
Hintergrund
Umfassende Untersuchung des SWR Ein Rechercheteam der Wissenschafts- und Datenjournalismus-Redaktionen des SWR hat durch eine eigene datenjournalistischen Analyse der Rettungsdienststatistiken in Südwestdeutschland die genauen Einsatzzeiten von Rettungswagen und Notärzten in der Region analysiert und zusammengestellt. Insgesamt 250 Datenanfragen wurden dafür an die beteiligten Akteure (Aufsichtsbehörden, Innenministerien, Planungsgremien und Rettungsdienstorganisationen) gestellt, über 100.000 Datensätze zu Einsatzzeiten und Standorten der Rettungsmittel und der Personalsituation ausgewertet. Wo braucht der Rettungsdienst länger? Wie sind die Rettungswachen, Notarztstandorte und Einsatzwagen verteilt? Und welche Folgen hat das für die Bevölkerung? Entstanden ist ein multimediales Projekt, das die entsprechenden Daten erstmals flächendeckend öffentlich zugänglich macht. Die Ergebnisse stehen ab dem 17. Januar 2018 unter www.swr.de/hilfeimnotfall auf einer interaktiven Internetseite zur Verfügung, auf der für 3.400 Gemeinden die exakten Daten abrufbar sind. Jeder kann durch einen einfachen Klick feststellen: Wie gut bin ich vor Ort versorgt?
Sendetermine
Ganztägiger Themenschwerpunkt am Mittwoch, 17. Januar, im SWR Hörfunk und in SWR Aktuell. „betrifft: Hilfe im Notfall – Rettungsdienste in der Krise“, Mittwoch, 17. Januar 2018, 20:15 Uhr, SWR Fernsehen „odysso – Wissen im SWR: Notfallhilfe im Südwesten – wenn die Retter zu spät kommen“, Donnerstag, 18. Januar, 22 Uhr, SWR Fernsehen
Mehr Infos
Sie wollen regelmäßig aktuelle Einsatzberichte, Techniknews und Fahrzeuginfos der FEUERWEHR erhalten? Dann melden Sie sich jetzt für unseren kostenlosen E-Mail-Newsletter an!