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Stromausfall Berlin-Köpenick

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Am 19. Februar 2019 kam es durch Bauarbeiten an der Salvador-Allende-Brücke zur Beschädigung von zwei Stromkabeln. Die Folge war ein flächendeckender Stromausfall mit etwa 70.000 Betroffenen.


Erschienen in: FEUERWEHR Ausgabe 5/2019

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Am 10. Mai 2019 führte die Berliner Feuerwehr ein Symposium zu diesem Stromausfall durch. Zum Erfahrungsaustausch waren Vertreter von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) und Betreiber von kritischen Infrastrukturen eingeladen. In sechs Themenblöcken (Krisenmanagement, Medizinische Lage/Auswirkungen im Gesundheitswesen, operative Einsatzabwicklung, Krisenkommunikation, von der Forschung in die Praxis und in einer Podiumsdiskussion mit Fragen aus dem Publikum) wurden dieses Ereignis ausgewertet.

Betroffener Bereich

Betroffen war ein großer Teil vom Stadtbezirk Treptow-Köpenick auf einer Fläche von etwa 75 km2 mit etwa 30.000 Haushalten, 2.000 Gewerbebetrieben, zwei Krankenhäusern und diversen Pflegeeinrichtungen. Rund 70.000 Menschen, etwa 2 % der Bevölkerung Berlins, waren ohne elektrischen Strom. Insoweit hatte die Stadt Glück – wenn man das so sagen darf –, dass der Stromausfall einen relativ grünen Bezirk mit großen Waldflächen umfasste. Ein Stromausfall mit dieser Flächenausdehnung im Innenstadtbereich hätte noch weitaus größere Herausforderungen gebracht. Die Temperatur betrug in dem Zeitraum zwischen 2 und 10 °C.

Die Ursache

Die Umspannstationen, die die einzelnen Stadtteile mit elektrischer Energie versorgen, werden aus Gründen der Ausfallsicherheit üblicherweise von zwei Leitungen eingespeist (Netz- oder Ringstruktur). Diese werden über verschiedene Wege an die Stationen herangeführt. Sind Wasserstraßen zu queren, werden häufig die Unterkonstruktionen von Brücken für die Verlegung von Versorgungsmedien genutzt. So geschehen auch an der Salvador-Allende-Brücke. Hier sind auch die beiden 110-kV-Leitungen mit jeweils drei Phasen zusammengeführt und nahe beieinander verlegt. Insgesamt verlaufen sechs Leitungen jeweils mit einem Durchmesser von ca. 10 cm vor der Brücke.

Bei Horizontalbohrungen im Erdreich im Bereich des Brückenfundaments/Widerlagers wurde dann gegen 14.10 Uhr im Abstand von drei Minuten nacheinander jeweils eine Phase der beiden Leitungen getroffen und zerstört (siehe Bild).

Der hinter der Brücke liegende Bereich wird von zahlreichen Gewässern umschlossen und wie eine Insel nur über diese Leitungen versorgt.

Situation Infrastruktur

Nicht nur der Strom fehlte. Auch die Fernwärmeversorgung war eingeschränkt. Etwa 5.000 Wohnungen waren betroffen, weil zwei Blockheizkraftwerke vom Netz gingen.

Das Mobilfunknetz war teilweise verfügbar. Das Festnetz war nicht verfügbar, da Router und Telefone stromabhängig sind. Das Absetzen von Notrufen über Telefon war somit fast unmöglich.

Der Digitalfunk für die BOS hat funktioniert. Die Auslösung der Digitalen Meldeempfänger (DME) der freiwilligen Feuerwehren war im betroffenen Bereich allerdings nicht möglich.

Wasser war verfügbar, weil das Hydrantennetz notstromversorgt ist.

Der Straßenverkehr war eingeschränkt, weil die Lichtzeichenanlagen (Ampeln) nicht funktionierten und es Blockaden durch Straßenbahn etc. gab.

Einsatzabwicklung

Erste Informationen zum Kabelschaden gab es bei der Feuerwehr um 14.20 Uhr. Kurz danach gab es den ersten Notruf einer privaten Beatmungsstation.

Bereits zwei Stunden nach Schadenereignis wurde um 16.00 Uhr der Einsatzstab der Berliner Feuerwehr alarmiert. Der Einsatzstab besteht aus Führungskräften der Berliner Feuerwehr und Fachberatern der Hilfsorganisationen sowie Verbindungsbeamten zur Polizei und verschiedenen Senatsverwaltungen. Seine Aufgabe ist die Koordinierung von besonderen Einsatzlagen im Berlin.

Als erste Maßnahme wurden alle Feuerwehrgerätehäuser der FF in den betroffenen Ortsteilen durch Kräfte der FF fest besetzt und zusammen mit der BF Köpenick und den Polizeidienststellen in dem Gebiet als Anlaufstellen für hilfesuchende Bürger benannt. Des Weiteren wurden im Laufe des Nachmittags mobile Wachen an verschiedenen Straßenkreuzungen eingerichtet.

Durch den Einsatzstab wurden umfangreiche Einheiten von Berufs- und Freiwilliger Feuerwehr, Hilfsorganisationen, THW, Polizei und weiterer Organisationen in den betroffenen Bereich alarmiert, um dort die mobilen Wachen zu unterstützen und für Einsätze bereitzustehen.

Insgesamt standen über 300 Einsatzkräfte der Berufs- und Freiwilligen Feuerwehr und aller Hilfsorganisationen und rund 400 Einsatzkräfte der Polizei Berlin allein für die Bevölkerung im Stromausfallgebiet bereit.

Einsatzschwerpunkte

Neben der Sicherstellung der Einsatzbereitschaft der Feuerwehren und die Schaffung von Anlaufpunkten für die Bevölkerung gab es folgende Einsatzschwerpunkte:

  • Evakuierung eines privaten Beatmungs-/Intensivpflegezentrums (Erster Notruf dazu 11 min nach Schadenereignis!)
  • Störung im Notstromaggregat des DRK Klinikums Köpenick – Evakuierung der Intensivstation (8 h nach Schadenereignis), Notstromversorgung erfolgte später durch das THW
  • Alexianer-Krankenhaus Hedwigshöhe – Notstromeinspeisung (THW), Heizung, Warmwasser (9 h nach Schadenereignis)
  • Nach 10 h Meldung eines Hospizes mit Problemen aufgrund des Heizungsausfalls.
  • Sechs Seniorenheime waren zu kontrollieren und zu betreuen.
  • In einem Abwasserpumpwerk (BWB) kam es zum Ausfall der Abwasserpumpen. Hier gab es später noch den Brand eines Notstromaggregats.
  • Kontrolle und ggf. Betreuung von Patienten mit Kunstherzen in Privatwohnungen

Eigene Kräfte betroffen

Auch die Feuerwehrhäuser der insgesamt fünf vom Stromausfall betroffenen freiwilligen Feuerwehren (Bohnsdorf, Grünau, Müggelheim, Rauchfangswerder und Schmöckwitz) lagen im Dunkeln. Vier Feuerwehrhäuser der FF waren ohne die Möglichkeit einer Notstromeinspeisung. Hier behalf man sich u. a. durch die Nutzung von Technik von Einsatzfahrzeugen (mobiles Notstromaggregat, Kabeltrommeln, Scheinwerfer etc.)

Nur bei dem am 21. August 2018 neu in Dienst genommenen Feuerwehrhaus der FF Rauchfangswerder (siehe Feuerwehr 12/2018, Seite 31) war eine Notstromeinspeisung vorhanden. Laut Christian Rößler, Wehrleiter der FF Rauchfangswerder, hat sich das Raumkonzept der Modulbauweise für die neuen Feuerwehrhäuser der freiwilligen Feuerwehren Berlins bewährt. Die FFAngehörigen konnten den Dienst in Schichten rund um die Uhr ohne größere Einschränkungen absolvieren. Es gab auch noch Kapazitäten für die Versorgung der Bevölkerung. (Zum Bauprogramm für die FF Berlin siehe Feuerwehr 12/2017, Seite 6 ff.)

Die hier zusammengefassten Informationen geben stichpunktartig die Erfahrungen und Lehren aus dem Stromausfall wieder.

Feuerwehr-Standorte (Gebäude)

Bei Wachgebäuden mit veralteter Stromverkabelung, teilweise in der Ausführung klassischer Nullung, konnte keine Netzersatzanlage angeschlossen werden. Es kommt zum Ausfall der von elektrischer Energie abhängigen Gebäudeinfrastruktur: Licht, Heizung, Hebeanlagen, Gebäudesicherung und anderes. Dazu kommt der Ausfall feuerwehrspezifischer Technik wie elektrische Tor- und Türsysteme (auch Offenhaltung), Wachalarmdrucker, Ladeerhaltungsysteme für die Einsatzfahrzeuge (hier muss das Leerladen der Fahrzeugbatterie durch Akkugeräte in den Ladeschalen des Fahrzeugs verhindert werden).

Ist die Einspeisung elektrischer Energie mit einer Netzersatzanlage nicht möglich, sollten ausreichend Mehrfachsteckdosen, Kabeltrommeln und Lampen zur fliegenden Verlegung von einem Notstromaggregat in das Gebäude vorgehalten werden.

Einsatzorganisation Wache

Bei einem absehbar längeren Stromausfall ist eine feste Besetzung des Feuerwehrhauses vorzusehen, weil eine spätere Alarmierung durch ausgefallene Funk-/Telefontechnik nur sehr erschwert möglich ist. Dann sollte zügig ein Schichtbetrieb der verfügbaren Einsatzkräfte organisiert werden. Dazu sind Schlaf-/Ruhemöglichkeiten für die Einsatzkräfte zu schaffen (Liegen, Decken, ggf. Zeltlagermaterial der Jugendfeuerwehr).

Funkplatz/ständig besetzte Stelle

Für die Ansprechbarkeit von außen durch Hilfesuchende ist ein Funkplatz/eine ständig besetzte Stelle einzurichten. Dazu sind entsprechende Hinweisschilder und Aushänge für Informationen aufzustellen.

Für den Raum selbst sind ein bequemer Stuhl, Tisch, Schreibmaterial, Beleuchtung und Beheizung vorzusehen. Ein externes Funkgerät für den Funkplatz mit Lademöglichkeit (Technik unabhängig von den Einsatzfahrzeugen) sollte vorhanden sein. Der Funkplatz kann auch die Aufgabe als Anlaufstelle für die Bevölkerung übernehmen.

Medizinische Hilfeleistung

Vom Stromausfall betroffene Krankenhäuser fahren im Notbetrieb, und Arztpraxen sind nicht arbeitsfähig. Die Gesundheitsbehörden müssen Anlaufstellen schaffen. Bekannte Feuerwehrhäuser werden bei Notfällen auch aufgesucht und man sollte sich dort entsprechend darauf einstellen. Die Einrichtung eines provisorischen „Sanitätsraums“ ist hilfreich. Mindestens ein Rettungsrucksack sollte immer griffbereit sein, um Hilfe leisten zu können.

Technik

Bei der technischen Ausstattung sind dazu folgende Überlegungen anzustellen:

  • Wie erfolgt die Be- bzw. Ausleuchtung der Laufwege zur Wache und in der Wache?
  • Ist die Beheizung der Ruhe- und Aufenthaltsräume möglich?
  • Wie erfolgt die Hygiene/Körperpflege/Toilette? Müssen ggf. mit mobil erhitztem Warmwasser Duschen und Waschmöglichkeiten improvisiert werden?
  • Gibt es Ladestationen für die eigene Technik (Vorhaltung Einsatzgeräte)?
  • Vorhaltung von elektrischen Akkugeräten: Welche Geräte lassen sich nur aufladen, z. B. ist bei ex-geschützten Knickkopflampen oft kein einfacher Akkuwechsel möglich (begrenzte Einsatzdauer!).

Versorgung

Die Versorgung der eigenen Einsatzkräfte, ggf. deren Familien sowie von zu betreuenden Personen/Anwohnern ist zu planen. Dazu folgende Anregungen:

  • Lebensmittel aus auftauenden Tiefkühltruhen verbrauchen.
  • Küchenbetrieb ggf. mit gasbetriebenen Geräten, Kohlegrill oder Camping-Ausrüstung (Wohnmobil?) organisieren.

Mobile Rettungspunkte

Neben den Feuerwehrhäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen (z. B. Polizeireviere) bietet sich die Schaffung mobiler (und beleuchteter) Rettungspunkte als Anlaufstellen für die Bevölkerung an. Niemand geht bei völliger Dunkelheit gerne lange Strecken. Die Orientierung in gut bekannten Bereichen ist durch die absolute Dunkelheit und „Unsichtbarkeit“ von sonst genutzten Referenzpunkten stark erschwert.

Technische Einrichtung

Hier sollten Fahrzeug mit Standheizung verwendet werden, und es sollte eine externe Stromversorgung zum Betrieb von Licht und Funkgerät über Stunden möglich sein.

Für die Bevölkerung sollte eine Beleuchtung als Ausleuchtung der Zugangswege sowie als Kennzeichnung des Rettungspunkts erfolgen.

Ein Radio zur Eigeninformation ist hilfreich, um auch in der Lage zu sein, Fragen der Bevölkerung zu beantworten.

Einsatzorganisation

Bei den Rettungspunkten kann eine schnelle Erstbesetzung mit ad hoc alarmierten Einsatzkräften erfolgen, die dann durch vorbereitete Helfer abgelöst oder entsprechend versorgt werden. Bei einem langfristigen Einsatz sind die Verpflegung, Ablösung und auch Beschäftigungsmöglichkeiten abzuklären.

Besatzungsstärke und Ausstattung

Die Besatzung des Rettungspunkts sollte so umfangreich sein, dass sie in der Lage ist, diesen zu betreiben und parallel auch Hilfeersuchen in der näheren Umgebung zu folgen. Dazu ist folgende Ausstattung vorzuhalten:

  • Material für Schilder/Tafeln für Aushänge und Informationen
  • Handfunkgeräte, Handlampen, Rettungsdienstrucksack
  • Kartenmaterial des Umfelds zur eigenen Orientierung (Ortskunde der Besatzung? „Beim Supermarkt ist jemand zusammengebrochen.“)

Einsatzerfordernisse

Für den Betrieb eines Rettungspunkts sind Regelungen festzulegen:

  • Einsatzregeln: Hilfesuchender mit Herzinfarkt in der Nähe vs. ständig besetzter Rettungspunkt für weitere Notrufe
  • Anbindung an Koordinationsstelle, Alarmwege klären, Vernetzung mit Hilfsangeboten im Umfeld
  • regelmäßiger Informationsaustausch über örtliches Lagebild und Gesamtlage mit übergeordneter Koordinationsstelle
  • schriftliche Dokumentation bei Notrufannahme (Annahmezeit, Notrufinhalt und Zeit der quittierten Weiterleitung)

Anfragen und Problemstellungen

Aus dem Einsatz ergaben sich Erfahrungen zu folgenden Hilfeersuchen und Problemstellungen:

  • Aufladen von Akkugeräten (z. B. Mobiltelefone, Heimbeatmungsgeräte, Taschenlampen, …)
  • Warmwasser (z. B. für Babynahrung)
  • Patienten mit künstlicher Ernährung benötigen Strom für „Mixer“ zur Nahrungszubereitung.
  • Anfragen zu Hilfsangeboten im Umfeld (z. B. betreute und beheizte Aufenthaltsräume, funktionierender ÖPNV)
  • Anfragen zur Fortdauer der Einschränkungen

Erfahrungen aus dem Einsatzaufkommen

Notstromversorgte Krankenhäuser sind nicht mehr voll handlungsfähig und melden sich ggf. sogar ab (Betriebseinstellung der stromintensiven Diagnostik [Röntgen, CT, MRT], Einschränkungen im Laborbetrieb und im Betrieb von Kühlgeräten für Medizin und Ersatzstoffe). Die längeren Fahrwege im Rettungsdienst bei Ausfall ortsnaher Krankenhäuser sorgen für zusätzliche Belastung.

Über Jahre vorgehaltene Akkugeräte sind kaputt geladen und verlieren nun nach kurzer Zeit ihre Funktionsfähigkeit. Ein präventiver Akkutausch bei nur für den Notfall vorgehaltenen Geräten (analog Flugzeugwartungsregularien) wäre hilfreich.

Für die Einsatzkräfte wären Erfahrungen im Umgang mit Heim-Dialyse, heimbeatmeten Patienten und Patienten mit künstlicher Ernährung hilfreich. Bei vielen Einsätzen wirkte sich der Ausfall der Türöffnungs- und Klingelanlagen an Wohn- und Hochhäusern erschwerend aus. Das besonnene und ruhige Verhalten der Bevölkerung war hilfreich.

Schlussfolgerungen

Um auch bei einem längeren flächendeckenden Stromausfall einsatzbereit zu sein, sind einige Vorplanungen und Maßnahmen notwendig. Aus diesem Beitrag ergibt sich eine nicht abschließende Liste, worüber sich die Feuerwehr mit den kommunalen Verantwortlichen Gedanken machen sollte.

Während der Veranstaltung am 10. Mai, speziell bei der Podiumsdiskussion, kam mehrfach zum Ausdruck, dass der „Staat“ nicht alles leisten kann und die Selbsthilfefähigkeit (Resilienz) der Bevölkerung gestärkt werden muss.

Literaturempfehlungen

Zum Thema Stromausfall gibt es verschiedene Broschüren vom BBK unter www.bbk.bund.de (Aufgaben / kritische Infrastrukturen / Publikationen und Vorsorge & Selbsthilfe / Vorsorge für den Katastrophenfall)
Weitere Informationen gibt es aus den Berichten zu den Forschungsprojekten TankNotStrom und Kat-Leuchttürme.

Stefan Wagner

 

Foto (Beitragsübersicht): © Stefan Wagner

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