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Feuerwehr auf Gleisen – Auf der Schiene

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Die Rhätische Bahn (RhB) zählt zu den bekanntesten Eisenbahnen der Welt. Rund die Hälfte der Streckenkilometer sind nur schwer zugänglich und über die Schiene erreichbar. Daher haben die Verantwortlichen in der Schweiz ein spezielles Sicherheits- und Rettungskonzept mit Beteiligung der Feuerwehren entwickelt.


Erschienen in: FEUERWEHR Ausgabe 11/2020

44799 (Leutturm)

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Sie ist bei Eisenbahnfans weltweit bekannt und gehört für viele Schweizer zu ihrem Land wie Schokolade und Victorinox-Taschenmesser: die Rhätische Bahn (RhB). Auf 384 km Streckenlänge schlängelt sie sich durch den Kanton Graubünden, den nicht nur eine herrliche Berglandschaft, sondern mit Deutsch, Rätoromanisch und Italienisch gleich drei Amtssprachen prägen. Die roten Lokomotiven und Waggons gehören nicht nur zum täglichen Leben einiger Pendler, sondern auch zur Reiseplanung vieler Touristen aus aller Welt, die extra für eine Fahrt mit der Rhätischen Bahn anreisen.

Aufgrund der anspruchsvollen Topografie sind Schutz und Rettung bei möglichen Störungen und Unfällen jedoch nicht immer einfach. Immerhin sind rund 50 % der RhB-Strecken nur schwer zugänglich und über die Schiene erreichbar. Daher hat die Rhätische Bahn in Zusammenarbeit mit der Gebäudeversicherung Graubünden (GVG), welche die Aufsicht über das kantonale Feuerwehrwesen hat, ein netzweites Sicherheits- und Rettungskonzept (NSRK) erarbeitet. Kern des Konzepts sind acht Feuerwehrstützpunkte, die strategisch günstig im Bereich des Eisenbahnnetzes der Rhätischen Bahn gelegen sind. Ursächlich für dieses Vorgehen war die Revision des Eisenbahngesetzes (EBG) durch das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Dieses besagt, dass seit dem Jahr 2016 alle Bahnunternehmungen die Vorhaltekosten von Wehrdiensten für Einsätze an Eisenbahnanlagen verbindlich zu regeln haben.

Technische Aufrüstung

Bereits 2007 wurden vier Zweiwegefahrzeuge beschafft, zwei in der Version als Tanklöschfahrzeug, zwei als Rüstwagen-Schiene (auch Interventionsfahrzeug oder Rettungsfahrzeug genannt). Sie wurden zu Beginn in Susch und in Klosters (TLF) sowie in Lavin und Bergün (RW) stationiert.

Nun, rund zehn Jahre später, erfolgte die Neubeschaffung von sechs weiteren Interventionsfahrzeugen (Rüstwagen), um die neuen Feuerwehrstützpunkte im Rahmen der Gesamtkonzeption technisch auszustatten. Dies sind die Feuerwehren Arosa, Bergün-Filisur, Ilanz, Klosters-Serneus, Poschiavo, Samaden/Pontresina, Thusis und Zernez. „Gleichzeitig hat man sich darauf geeinigt, dass die Feuerwehren im Umgang mit den bahntechnischen Anlagen, im speziellen mit dem Strom und dem Fahren auf Gleisanlagen von der RhB, aus- und weitergebildet werden“, so die Rhätische Bahn in einer Medienmitteilung anlässlich der Übergabe der neuen Fahrzeuge.

Im Einsatzfall rücken diese – je nach Örtlichkeit – auf der Straße oder auf der Schiene zum Unglücksort aus. „Wir haben rund 60 Eingleisstellen auf dem gesamten Netz der RhB, wo diese Zweiwegefahrzeuge aufgegleist werden können. Der Einsatz ist immer von zwei Seiten vorgesehen. Als Beispiel: Wenn zwischen Trin und Versam etwas passiert ist, würde die Feuerwehr Ilanz von einer Seite und von der anderen Seite die Feuerwehr von Thusis einrücken. Das Aufgebot läuft immer über die Einsatzzentrale der Kantonspolizei Graubünden.

Die Feuerwehren bedienen die Fahrzeuge selbstständig, auf denen sie, verbunden mit einer Bahnausbildung, auch ausgebildet sind. Die Fahrer der Fahrezuge verfügen über eine Kurzausbildung als Triebfahrzeugführer, für die jährlich Wiederholungskurse absolviert werden. Die Fahrzeuge gehören der Rhätischen Bahn, werden aber von den Feuerwehren betrieben“, erklärt Simon Rageth von der Unternehmenskommunikation der Rhätischen Bahn AG.

Auf Schienen zum Einsatz

Nachdem die Zweiwegefahrzeuge aufgegleist wurden, fahren sie im Rückwärtsgang die Einsatzstelle an, um vor Ort die Einsatzmittel direkt über die heckseitige Ladebordwand auszuladen. Würde die Anfahrt in der regulären Fahrtrichtung erfolgen, müssten sämtliche Gerätschaften an der Einsatzstelle heckseitig entladen und auf engstem Raum am Fahrzeug vorbei nach vorne getragen werden. Aufgrund dieser Taktik befindet sich in der Ladebordwand ein Sichtfenster mitsamt Scheibenwischer.

Zwischen den Rollcontainern im Geräteraum kann ein Feuerwehrmann sitzen und via Funk dem Fahrer Anweisungen geben.

Dieser bekommt zudem dank Kameraverbindung seine Fahrstrecke auf einen Monitor im Fahrerhaus übertragen. Gleichzeitig können sich die restlichen Besatzungsmitglieder in der Mannschaftskabine mit Atemschutz ausstatten. Es besteht zwischen dem Mannschaftsraum und dem Geräteraum ein direkter Zugang. Vorgesehen ist ein Eintreffen mit zehn Einsatzkräften in max. 60 Minuten. Für lange Tunnel wie den Vereinatunnel und den Albulatunnel sind sogar nur max. 45 Minuten bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte vorgesehen.

Unfälle sind nicht ausgeschlossen

Tatsächlich passiert sehr wenig, die Eisenbahn ist ein sicheres Verkehrsmittel. Doch trotz aller Planungen und Vorkehrungen können Unfälle nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, gerade in hochalpinen Regionen wie dem Kanton Graubünden. Hier schlängelt sich die Eisenbahn nicht nur durch Tunnel und enge Kurvenradien, sondern auch durch fast unberührte Naturlandschaften. In einem eben solchen von der Bebauung abgeschiedenen Streckenabschnitt ereignete sich am 13. August 2014 eines der schwersten Eisenbahnunglücke der Schweiz in den vergangenen Jahren: Zwischen Tiefencastel und Solis ging ein rund 15 m breiter und bis zu 3 m hoher Erdrutsch infolge starker Regenfälle auf die Eisenbahnstrecke nieder. Kurz nachdem der Zug auf der Uno-Weltkulturerbe-Strecke St. Moritz-Chur um 12.15 Uhr den Bahnhof von Tiefencastel mit rund 140 Passagieren verlassen hatte, fuhr er in den niedergegangenen Erdrutsch. Während die Lokomotive diesen noch passierte, entgleisten die folgenden drei Personenwaggons. Der erste, direkt hinter der Lokomotive befindliche Personenwaggon stürzte in der Folge rund 20 m durch unwegsames Gelände in die Tiefe und blieb am Steilhang der Schinschult an Bäumen hängen. Glücklicherweise wurden bei diesem Unglück „nur“ elf Menschen verletzt, fünf davon schwer. Ein 85-jähriger Mann verstarb einige Tage später an seinen Verletzungen. Die offiziellen Ermittlungen zum Eisenbahnunglück ergaben, dass dieses nicht vorhersehbar gewesen war und die Rhätische Bahn keine Schuld trifft.

Sicherheit bei jeder Fahrt

Im Wissen um die Herausforderungen für die Sicherheit auf dem anspruchsvollen RhBStreckennetz versuchen die Bahnverantwortlichen sowie die Gebäudeversicherung und die örtlichen Feuerwehren jedoch alles, um stets eine sichere Bahnfahrt durch Graubünden sicherzustellen. Einer der RhB-Feuerwehrstützpunkte befindet sich in Poschiavo, ganz im Süden des Kantons in unmittelbarer Nähe zu Italien. „Für uns Feuerwehrleute in Poschiavo ist die Arbeit mit der Rhätischen Bahn eine Motivation und Herausforderung. Bisher hatten wir noch keine wirklichen Einsätze bei der Bahn, aber die Übungen, die wir regelmäßig mit unseren Kollegen von der Bahn und der Feuerwehr im Engadin Pontresina/Samedan durchführen, halten uns auf dem Laufenden und bereit. Darüber hinaus ist es uns auch möglich, das Zweiwegefahrzeug auf der Straße einzusetzen und so die Zahl der uns zur Verfügung stehenden Fahrzeuge zu erhöhen. Wir sind stolz darauf, dieses Engagement zu übernehmen; es ist eine besondere Aufgabe, die nicht alle Feuerwehrleute übernehmen dürfen“, sagt Mirko Cortesi, der Kommandant der Wehr. Ein Vorteil für die Feuerwehrstützpunkte, die sich am Konzept der Rhätischen Bahn beteiligen, ist tatsächlich, dass diese die Zweiwegefahrzeuge auch regulär im Rahmen ihres Einsatzdienstes abseits der Schiene nutzen dürfen. Somit steht den Feuerwehren ein weiteres, gut ausgestattetes Einsatzmittel zur Verfügung. Neben den Zweiwegefahrzeugen unterhält die Rhätische Bahn seit dem Jahr 1999 auch zwei Lösch- und Rettungszüge, die jeweils am Nord- und am Südportal des Vereinatunnels stationiert sind. Beim Vereinatunnel handelt es sich bei einer Länge von über 19 km um den längsten Meterspur-Eisenbahntunnel der Welt. Er verbindet das Prättigau mit dem Engadin und stellt damit eine wichtige Eisenbahnverbindung im Kanton Graubünden dar. Neben Reisezügen passieren auch Autozüge den Vereinatunnel. Die Lösch- und Rettungszüge werden im Einsatz mithilfe einer Rangierlok in den Vereinatunnel geschoben. Sie bestehen aus:

  • einem Gerätewagen mit hydraulischem Rettungsgerät, Notstromaggregaten, Leitern, Atemschutzgeräten und einem im Dach verbauten Atemluftvorrat von 40.000 l
  • einem Sanitätswagen mit Sanitätsmaterial, Tragen, Fluchtmasken und einem im Dach verbauten Atemluftvorrat von 40.000 l und
  • einem Löschwagen mit 30.000 l Wasser, zwei Tragkraftspritzen TS-8 sowie mit einer Schnellangriffsleitung an der Zugspitze

Während die Besatzung der Rangierlokomotive von der Rhätischen Bahn kommt, stellen die jeweils zuständigen Feuerwehrstützpunkte die Einsatzkräfte. Nach über 20 Jahren ist hier jedoch eine Neuerung geplant. „Zur Verbesserung der Interventionsbereitschaft und -geschwindigkeit bei einem Ernstfall im Vereinatunnel werden wir insgesamt vier neue, selbstfahrende Lösch- und Rettungsfahrzeuge beschaffen, pro Portalseite jeweils zwei. Ziel ist es, diese 2022 in Betrieb zu nehmen“, erläutert Simon Rageth. „Die aktuellen Rettungszüge des Vereinatunnels haben mittlerweile das Ende ihrer Lebensdauer erreicht und sollen durch neue Fahrzeuge mit neustem Stand der Technik ersetzt werden. Als Ersatz sollen vier selbstfahrende, kuppelbare Lösch- und Rettungsfahrzeuge (LöReF) beschafft werden. Die neuen LöReF sind selbstfahrende vierachsige Schienenfahrzeuge und erfordern aufgrund ihrer Einsatzbestimmung eine robuste Bauweise. Dem Einsatz im Tunnel mit den beschränkten Platzverhältnissen muss Rechnung getragen werden. Mechanische Komponenten sind extremen Belastungen und Temperaturschwankungen ausgesetzt und dementsprechend zu schützen. Im Winter sind im Tunnel konstant 20 °C, am Tunnelportal Temperaturen von –35 °C bis 40 °C möglich, dazu kommen deutlich erhöhte Temperaturen bei einem Brand im Tunnel und damit zusammenhängende Brandschutzanforderungen“, heißt es in der Ausschreibung des Bahnunternehmens. Die Lieferung der LöReF soll im Sommer 2021 erfolgen.

Urs Weber, Bildquelle: RhB/Matthias Nutt

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