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Waldbrand-Tanklöschfahrzeuge: Das TLF-W „Niedersachsen“

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Für Wald- und Vegetationsbrände beschafft das Land Niedersachsen spezielle Waldbrandlöschfahrzeuge. Der Aufbauhersteller Iturri hat jetzt zur Erprobung das erste von vorerst vier Fahrzeugen für den niedersächsischen Katastrophenschutz ausgeliefert.


Erschienen in: FEUERWEHR Ausgabe 3/2022

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Als Basis für das Waldbrand-Tanklöschfahrzeug (TLF-W) von Iturri dient das bewährte französische Standardfahrzeug CCFM (Camion Citerne Feux de Forêts Moyen de Classe M – Mittleres Waldbrand- Tanklöschfahrzeug der Gewichtsklasse M), hier in der Variante „Niedersachsen“.

Fahrgestell

Für den Wald: Die Langdistanzhaspel auf der rechten Seite ist mit sechs
 Druckschläuchen D25-20 und dem entsprechenden Hohlstrahlrohr bestückt. Foto: Peter Schneider

Aufgebaut ist das TLF-W auf einem serienmäßigen Renault-Fahrgestell vom Typ D14 4×4 Fire&Rescue CCF. Es verfügt über einen Sechs-Zylinder-Turbodieselmotor in der Abgasnorm Euro 6 mit einer Leistung von 206 kW (280 PS) bei 2.100 ^-1 (Drehmoment 1.050 Nm bei 950 – 1.600 ^-1), ein Sechs-Gang-Schaltgetriebe (6+R) von ZF sowie permanenten Allradantrieb (4×4). Es sind drei Differenzialsperren (Vorder-, Hinterachse, längs) vorhanden. Das Übersetzungsverhältnis des Untersetzungsgetriebes beträgt 1:1 und 1:2. Zur Ausstattung gehören Scheibenbremsen an Vorder- und Hinterachse (spezieller Staubschutz an der Hinterachse), ABS, elektronische Motorbremse, Retarder, Tempomat und eine elektronische Berganfahrhilfe. Die Geschwindigkeit wird bei 90 km/h elektronisch abgeriegelt. Der Motor läuft nach Herstellerangaben auch ohne AdBlue-Zusatz ohne Leistungsverlust.

Der dreiteilige Frontstoßfänger ist aus Metall. Der heckseitige Unterfahrschutz ist
ohne Werkzeug mittels Steckbolzen einklappbar, um den Überhangwinkel bei Geländefahrten zu vergrößern. Außerdem ist hier eine Anhängerkupplung (Maulkupplung) mit den entsprechenden Anschlüssen vorhanden.

Die (spurgleiche) Gelände-Einzelbereifung der Größe 365/85 R20 XZL ist auch für das Fahren mit geringem Reifendruck ausgelegt – vier Manometer zur manuellen Reduzierung des Reifendrucks werden mitgeführt. Zum Befüllen der Reifen sind insgesamt vier Druckluftanschlüsse am Fahrzeug vorhanden (je zwei auf jeder Seite). Vorne und hinten gibt es einen weiteren Anschluss zum externen Befüllen der Druckluftkessel der Bremsanlage beim Abschleppvorgang. Alle wichtigen Komponenten des Fahrzeugs verfügen über eine spezielle Hitzeschutzummantelung oder mechanischen Schutz an der Unterseite (Kraftstofftank, Getriebe, Differenzialsperren, Bremsen, Motor) für den Geländeeinsatz. Ebenso sind Scheinwerfer, Fahrtrichtungsanzeiger, Heck- und Begrenzungsleuchten sowie die Blitzleuchten der Sondersignalanlage mit Schutzgittern versehen.

Der vordere Überhangwinkel beträgt 37° (mit oder ohne Winde), der hintere 36° und der Rampenwinkel 35° – das Fahrzeug ist zum Befahren von Steigungen mit 50 % (27°) ausgelegt. Damit sind die Anforderungen der DIN EN 1846-2 zur Geländegängigkeit der Kategorie 3 (in der Gewichtsklasse M: 7.500 – 16.000 kg) erfüllt. Die Wattiefe beträgt 700 mm, die Bodenfreiheit zwischen den Achsen 657 mm, unter der Vorderachse 339 mm und unter der Hinterachse 374 mm.

Mannschaftskabine

Besonders geländetauglich: In der Seitenansicht wird die kompakte Bauweise mit der großen Bodenfreiheit deutlich. Foto: Peter Schneider

Die (serienmäßige) Ganzstahl-Doppelkabine kann komplett hydraulisch gekippt werden. Sie bietet bis zu fünf Einsatzkräften Platz, wobei der mittlere Sitz hinten als Notsitz ausgeführt ist. Alle Plätze sind mit (roten) Drei-Punkt-Sicherheitsgurten und Kopfstützen ausgestattet. Zwischen Fahrer- und Beifahrersitz befindet sich ein Metallkasten für die Funktechnik und Einsatzunterlagen. An allen vier Plätzen sind ein Handsprechfunkgerät sowie eine Knickkopflampe vorhanden. Zusätzliche Netze im Fahrerhaus dienen zur Aufnahme von (persönlichen) Kleinteilen.

Der Mannschaftsraum ist mit einem innen liegenden Überrollkäfig, dem Rollover-Protection-System (ROPS), ausgestattet. Er ist nach Herstellerangaben gemäß ISO 3471 zertifiziert und im eingebauten Zustand getestet.

Die vier Türen lassen sich um 90° öffnen, die Griffe sind zum besseren Auffinden weiß hinterlegt und die hinteren Türen verfügen über eine innen liegende Beleuchtung. Die Fenster werden aus Sicherheitsgründen manuell geöffnet. An der Kabinendecke befinden sich zusätzliche, frei hängende Haltegriffe. Die Auftritte zu den Mannschaftsraumtüren sind für Geländefahrten beweglich ausgeführt.

Daneben ist eine Atemluftversorgung (Dräger) mit festen Atemluftanschlüssen im Mannschaftsraum für fünf Einsatzkräfte verbaut. Die Atemluftflasche (GfK; 6,8 l/300 bar) lagert zwischen Fahrer- und Beifahrersitz, das Anschlussmodul ist an der Kabinendecke montiert. An jedem Platz ist eine Atemschutzmaske mit Druckminderer und Anschlussschlauch vorhanden.

Außen wird die Mannschaftskabine rundum durch einen weißen Astabweiser aus 50-mm-Stahlrohr geschützt. Eingebaut sind zehn Düsen (je drei links und rechts sowie vier über der Frontscheibe) der thermischen Selbstschutzanlage, die die Kabine kühlt. Zusätzlich sind zwei Sprühdüsen oberhalb jedes Reifens angebaut. Die thermische Selbstschutzanlage kann über einen auffälligen, gelben Pilztaster (Ein- Knopf-Bedienung) vom Fahrer oder Beifahrer über das Display im Mannschaftsraum oder vom heckseitigen Pumpenbedienstand aus aktiviert werden. Das Fahrzeug-Kennzeichen ist auf dem weiß lackierten Fahrerhausdach angebracht.

Aufbau

Frontwerfer: Der „Sidewinder“ hat eine max. Durchflussleistung von 2.700 l/min bei 6,9 bar. Foto: Peter Schneider

Das Aufbaudesign entspricht dem französischen Standardaufbau des CCFM. Aus Gründen der Widerstandsfähigkeit sind die Geräteräume mit nach oben öffnenden Klappen verschlossen, die beiden kleineren Geräteräume hinter der Hinterachse werden zur Seite geöffnet. Der Aufbau ist in der Technologie „Eco Poly Fire“ (EPF) aus miteinander verschweißten Kunststoffplatten realisiert. Dadurch ist er korrosionsbeständig und leichter als Aluminium-Konstruktionen, insbesondere, da der ebenfalls aus EcoPoly-Platten bestehende Löschwassertank als tragendes Teil in den Aufbau integriert ist. Das beleuchtete Aufbaudach mit Dachkasten ist begehbar und über eine stabile, fest angebrachte und in die Astabweiser der Kabine integrierte Aufstiegsleiter auf der rechten Fahrzeugseite zu erreichen.

Löschtechnik

Zu den löschtechnischen Einrichtungen gehören eine Godiva-Feuerlöschkreiselpumpe (FPN 10-2000), 3.500 l Löschwasser (davon 500 l im separaten Tank für die thermische Selbstschutzanlage), 80 l Schaummitteltank und eine elektrisch angetriebene Druckzumischanlage mit einer Leistung von 48 l/min (Zumischrate 0,1 – 10 %).

Ist die eingebaute FPN nicht in Betrieb oder liegt der Ausgangsdruck unter 3,5 bar, wird die thermische Selbstschutzanlage automatisch über eine separate elektrische Pumpe betrieben. Die 500 l Löschwasser der Selbstschutzanlage können bei Bedarf bewusst für die Brandbekämpfung freigegeben werden.

Die Löschmittelabgabe erfolgt über zwei heckseitige Druckabgänge der FPN 10- 2000 (B-Storz), zwei frontseitige Druckabgänge (D-Storz), den elektrisch betriebenen Frontwerfer oder zwei am Heck angeordnete, elektrisch aufwickelbare Einrichtungen zur schnellen Wasserabgabe. Links am Heck ist dafür eine Schnellangriffseinrichtung mit 60 m formstabilem, fest angekuppeltem Druckschlauch DN25 und Hohlstrahlrohr angeordnet. Die Langdistanzhaspel auf der rechten Seite ist mit sechs Druckschläuchen D25-20 und dem entsprechenden Hohlstrahlrohr bestückt. Das Fahrzeug kann im Pump-and-Roll-Betrieb eingesetzt werden.

Der Pumpenbedienstand gemäß AGBF Richtlinie ist in ergonomischer Höhe rechts am Heck verbaut. Ein nach oben klappbarer Schutzschild schützt die Bedienelemente. Hier ist auch ein zusätzlicher Funklautsprecher montiert. Für eine schnelle Befüllung der Löschwasserbehälter stehen zwei unabhängige Füllanschlüsse (B-Storz) rechts und links hinter der Hinterachse zur Verfügung.

Der Frontwerfer (Sidewinder) für Wasser und Wasser-Schaummittel-Gemisch hat eine max. Durchflussleistung von 2.700 l/min bei 6,9 bar und kann stufenlos im Voll- oder Sprühstrahl betrieben werden. Er kann horizontal um 175° und vertikal von –45° bis 90° geschwenkt oder geneigt werden. Er ist gegen mechanische Beschädigungen durch ein massives Metallgitter und während der Fahrt durch eine Haube geschützt. Die Steuerung des Werfers erfolgt über eine Funkfernbedienung im Mannschaftsraum zwischen Fahrer- und Beifahrerplatz.

Moderne Warntechnik

Neben der thermischen Selbstschutzanlage und dem Rollover-Protection-System (ROPS) besitzt das TLF-W weitere Sicherheitseinrichtungen zum Scutz der Mannschaft. Es ist mit einem Smart-Self-Protection-System samt akustischem (mit Durchsage) und optischem Alarm ausgestattet – für die Überwachung von Kippwinkel und Luftqualität in der Kabine sowie von Außentemperatur, Windrichtung, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit und GPS-Daten. Unterschiedliche Warnungen erfolgen in Abhängigkeit von diesen Parametern sowie der Fahrgeschwindigkeit und dem Löschmittelvorrat. Neben einer Warnung empfiehlt das System bei Bedarf akustisch
die Aktivierung der thermischen Selbstschutzanlage oder die Nutzung der Atemluftversorgung in der Kabine. Das System greift auf Daten verschiedener Sensoren zu, unter anderem in der Kabine (CO-Warner), an den Fahrzeugaußenseiten (Temperaturfühler mit Schutzgitter) oder an der vorderen Kante des Aufbaus (aufklappbare Wetterstation). Zudem überwacht es wichtige Parameter des Fahrzeugs (Öldruck, Inhalt Kraftstofftank).

Lackierung

Fahrerhaus und Aufbau sind mit einer speziellen, thermisch äußerst beständigen Hitzeschutz-Lackierung versehen. Diese Isolierlackierung soll gemäß Angaben des Herstellers nach einer äußeren Flammenbeaufschlagung mit einer Temperatur von 500 °C nur noch eine Temperatur von 80 °C an der Innenseite zeigen – ohne eine Durchzündung nach innen. Zusätzlich ist die Speziallackierung widerstandsfähig gegen mechanische Belastung.

Frontwinde

Unterhalb des (einfach demontierbaren) Schutzgitters befindet sich eine elektrische Selbstbergungswinde mit einer Zugkraft von 50 kN.

Beladung

Schnellangriffshaspel: Sie ist auf der linken Heckseite montiert Foto: Peter Schneider

Zwischen Kabine und Aufbau ist auf der rechten Fahrzeugseite in einem Kunststoffkasten geschützt ein tragbarer Feuerlöscher PG 6 verlastet. Die Wärmebildkamera findet sich in einem Halter zwischen Fahrer- und Beifahrersitz.

Zur Beladung gehören unter anderem eine Motorkettensäge mit Zubehör und PSA im Geräteraum G1, ein Notfallrucksack und zwei Löschrucksäcke sowie eine Rundschlinge. Dazu kommen wasserführende Armaturen (samt Systemtrenner), Armaturen zur Wasserentnahme und zusätzliches Schlauchmaterial. Ein Teil der Beladung ist in praktischen Kunststoffkisten verlastet. Auf dem Dach lagern zwei Saugschläuche A 110/2,5 m sowie eine Abschleppstange. Im Dachkasten gibt es zusätzliche Ausrüstung wie beispielsweise Sandbleche.

Weitere Ausstattung

Das TLF-W verfügt über ein Bird-View-System (Kamerasystem von „Brigade“ mit Rundumüberwachung) mit integriertem Abbiegeassistenten, eine LED-Umfeldbeleuchtung sowie leistungsstarke Arbeitsscheinwerfer an der Front und am Heck. Auf der Fahrerseite ist zwischen Kabine und Aufbau eine Nato-Steckdose für die Fremd-Strom-Einspeisung sowie die 230-Volt-Ladestromversorgung („RettBoxAir“) verbaut. Die Scheinwerfer, Fahrtrichtungsanzeiger und die Heckleuchten sind mit Schutzgittern versehen.

Am Heck sowie an der Front sind an massiven Halterungen zwei Schäkel angebaut. Am vorderen Stoßfänger ist ein Flaggenhalter für Kolonnenfahrten angebracht. Außerdem ist ein Navigationssystem vorhanden.

Das TLF-W ist mit einer retroreflektierenden Konturmarkierung und am Heck mit einer rot-gelben Warnbeklebung versehen.

Erprobung

Meteorologie im Kleinen: Vorne am Aufbau ist die ausklappbare Wetterstation angeordnet. Foto: Peter Schneider

Jedes der ersten vier TLF-W soll jeweils zwei Landkreisen zur Verfügung gestellt werden: den Kreisen Celle/Heidekreis, Uelzen/Gifhorn, Lüneburg/Lüchow-Dannenberg und Goslar/Göttingen. Nach der offiziellen Übergabe an das Innenministerium wurde das erste TLF-W den Führungskräften des Landes Niedersachsen am Ausbildungsstandort Celle des Landesamtes für Brand- und Katastrophenschutz (NLBK) vorgestellt. Die anstehenden Erprobungen werden in unterschiedlichen Regionen Niedersachsens stattfinden, begleitet durch eine Arbeitsgruppe der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren (AGBF) Niedersachsen, des Waldbrandteams e. V., des LFV Niedersachsen, des NLBK sowie des Innenministeriums.

Die ersten Tests erfolgten ab Oktober 2021 im Landkreis Grafschaft Bentheim (FF Schüttdorf), dann ging das Fahrzeug an den Landkreis Emsland. Eine Beschaffung von weiteren Fahrzeugen dieses Typs ist in Niedersachsen fest vorgesehen. Diese sollen dann auch in einer neuen Landeseinheit zur Vegetationsbrandbekämpfung (genannt GFFF-V-Einheit) auf überörtlicher und sogar internationaler Ebene eingesetzt werden. Der Aufbau dieser Landeseinheit befindet sich laut Innenministerium derzeit in Vorbereitung. „Mit der zukünftigen Aufstellung spezialisierter Landeseinheiten zur Vegetationsbrandbekämpfung stärken wir die Schlagkraft unserer niedersächsischen Feuerwehren. Gleichzeitig geht es darum, die Möglichkeiten unserer Partner auf Bundesund Europaebene noch besser zu unterstützen“, so der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius.

Neben TLF-W sollen zukünftig auch weitere Fahrzeuge und Gerätschaften für den Einsatz in den Kreisfeuerwehrbereitschaften finanziell gefördert werden. Dafür stellt das Land Niedersachsen in den Haushaltsjahren 2021 bis 2024 insgesamt 10 Millionen Euro bereit.

Peter Schneider

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