PSA für Frauen: Das passt schon so?
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Wenn Schutzkleidung nicht gut sitzt, ist ihre Funktion beeinträchtigt – das ist bekannt. Daher gibt es mittlerweile zahlreiche Individualisierungsmöglichkeiten und Passformen. Doch eine Gruppe ist bislang kaum berücksichtigt: die Feuerwehrfrauen. Aber auch für die männlichen Kameraden kann die richtige Passform eine Herausforderung sein.
Erschienen in: FEUERWEHR Ausgabe 10/2021
PSA für Frauen: Das passt schon so?
„Was schützen soll, muss passen!“, lautete die Titelüberschrift des Sicherheitsbriefs 2/2017 der Feuerwehrunfallkassen.
Es ging darin um Persönliche Schutzkleidung. Sie muss bestmöglich sitzen, um ihre Funktion angemessen zu erfüllen. Der Sicherheitsbrief empfiehlt auf der zweiten Seite: „Wenn die „Einheitsgröße“ nicht oder nicht richtig passt und sitzt, können Sonderanfertigungen nötig werden. Nicht alle Menschen sind gleich und unterscheiden sich in vielen individuellen Merkmalen, die die Standards der PSA-Hersteller bei Stiefeln, Kleidung, Handschuhen und Co. nicht immer abbilden.“ Dabei befasst sich der Sicherheitsbrief besonders mit der Inklusion von körperlich beeinträchtigten Personen in die Feuerwehr. Dass diese häufig angepasste PSA benötigen, liegt auf der Hand. Hier muss jede Feuerwehr entsprechende Angebote schaffen.
Doch die Unterschiede in den Anforderungen an die PSA greifen schon früher: bei den Geschlechtern. „Die wichtigsten Unterschiede zwischen Männer- und Frauenköpern aus Sicht der Bekleidungsfertigung sind schon lange bekannt, werden aber trotzdem im Bereich der Workwear und echten Sicherheitskleidung wenig berücksichtigt. Das ist unverständlich“, findet Dipl.-Ing. (FH) Simone Morlock. Die Bekleidungsingenieurin ist seit über 20 Jahren bei Hohenstein, einem unabhängigen Dienstleister in der Prüfung, Zertifizierung, Forschung und Weiterbildung mit textilem Schwerpunkt. Die Expertin benennt die wichtigsten Unterschiede: Frauen haben eine andere Brustausprägung und Taillen-Hüftproportion als Männer. Sie besitzen im Schnitt stärkere Hüften und Oberschenkel, aber eine schlankere Taille. Im Vergleich zu Männern haben sie außerdem schmalere Schultern und sind kleiner.
Doch während bei den Feuerwehren im Bereich der Tagesdienstbekleidung Frauen- Passformen längst Standard sind, sieht es im Bereich der echten Schutzkleidung anders aus. Hier muss in der Regel auf Herrengrößen zurückgegriffen werden – ein Problem.
Dabei geht es nicht darum, eine gute Figur zu machen, sondern um die Sicherheit der Trägerinnen. So sollte eine Feuerwehrfrau beispielsweise in einer verrauchten Wohnung oder engen Durchgangsöffnung nicht mit dem überflüssigen Stoff einer zu weiten Jacke hängen bleiben. Die Schutzjacke sollte sich auch beim Heben der Arme nicht zu sehr bewegen, um keinen gefährlichen Brandrauch einzulassen.
Unpassende Passformen
Aber nicht nur Frauen haben Schwierigkeiten mit der Passform, wie Simone Morlock weiß: „Fakt ist: Die Varianz an Körperformen ist unter Männern ebenso groß wie unter Frauen.“ Dass auch den Herren die Kleidung oft nicht passt, liegt an der Datenlage. Um Körperformen und -dimensionen repräsentativ beschreiben zu können, werden in Deutschland seit 1957 Reihenmessungen durchgeführt und auf deren Basis Größentabellen entwickelt. Frauen wurden hierbei ca. alle zehn Jahre vermessen, doch bei den Herren sieht es schlechter aus: Deren erste Größentabelle stammt aus den 1960er-Jahren. Darauf folgte eine Reihenmessung 1980, die aber aufgrund von Uneinigkeiten nie in die Praxis überführt wurde. Bis heute beruhen daher zu einem immer noch großen Anteil die HAKA-Größen im Han del auf der Größentabelle aus den 1960er-Jahren.
Doch einerseits haben sich die Körperdimensionen seither verändert. Dazu kommt, dass 1960 von der „brustumfangsbezogenen Körperhöhensteigerung“ ausgegangen wurde. Demnach bedeutet ein größerer Brustumfang auch eine größere Körperlänge. Die Konsequenzen sind teils absurd. So schildert Simone Morlock in ihrer Publikation „Veränderung der Körpermaße von Männern und Frauen und deren Auswirkung auf die Passform von Berufsbekleidung“, S. 16: „Die alte HAKA-Tabelle weist bis Größe 52 eine Steigerung um 3 cm und dann um 2 cm aus.“ Nach der alten HAKA-Tabelle müsste ein Mann mit der Größe 72 bei konsequent fortgeführter Körperhöhensteigerung von 2 cm 2,0 m groß sein. In der Praxis kennen z. B. auch große, aber schlanke (Feuerwehr-)Männer das Problem nur zu gut: Wenn die Länge der Kleidung stimmt, ist der Umfang oft zu groß. Umgekehrt finden kleine, kräftige Männer keine gut sitzende Schutzkleidung, weil ihnen Hosenbeine und Ärmel zu lang sind. Fest steht also: Auch für Männer sind die veralteten Größentabellen ein Problem, das hier nicht unter den Tisch fallen soll.
Zu lang oder lieber zu eng?
Die Passformprobleme bei PSA sind dennoch besonders oft „Frauensache“. Etwa aufgrund der im Schnitt breiteren Hüfte bei gleichzeitig kleinerer Körpergröße im Vergleich zu Männern. Da Herren-Schutzhosen mit weiterem Schnitt i. d. R. auch besonders lang sind, resultieren daraus z. B. zu lange Hosenbeine, eventuell sind auch die Hosenträger nicht kurz genug einstellbar. Bei Jacken ergeben sich ähnliche Schwierigkeiten. Naturgemäß haben Frauen einen größeren Brustumfang. Werden die Schutzjacken jedoch mit steigendem Brustumfang immer auch länger, ist das Ergebnis eine Mischung aus zu langen Ärmeln, zu viel Stoff um Schultern und Hals und eventuell auch einer generell zu tief hängenden Jacke.
Doch Brandschutzkleidung kann nicht einfach umgenäht werden, da sie dadurch ihre Schutzwirkung einbüßte. Im bereits genannten Sicherheitsbrief der Feuerwehrunfallkassen heißt es im Zusammenhang mit selbst ausgeführten Änderungen: „Von ,Selbstbaulösungen‘ raten wir dringend ab! PSA ist heutzutage ein Hightech-Produkt, welches bei einer Veränderung in seiner Funktion mindestens beeinträchtigt oder sogar komplett zerstört wird.“ Ein Beispiel: Würde eine Kürzung mit einem brennbaren Garn durchgeführt, lägen die Risiken im Brandeinsatz auf der Hand. Zudem beschädigen jede Kürzung und jeder Nadelstich die schützende Membrane, die gesundheitsschädliche Stoffe (z. B. im Brandrauch) von der Haut fernhält. Auch ein praktisches Problem entsteht: „[Durch ein Umnähen] wird man selbst zum Hersteller und muss auch für die nun ,neu entstandene‘ PSA haftbar einstehen,“ so der Sicherheitsbrief.
Herstellerstimmen
Wie halten es die Hersteller? Hier schrieb uns etwa Oliver Tatsch von Ibena: „Passform und Ergonomie sind wichtig, damit die Schutzleistung optimal zum Tragen kommt und Träger/-innen sich auch bei längeren Einsätzen wohlfühlen. Daher sind weibliche Schnitte durchaus sinnvoll, um das volle Potenzial der Schutzkleidung zu nutzen. Luft ist nach wie vor der beste Isolator. Ein zu körpernaher Schnitt oder Stretch und Slimfit-Bekleidung reduziert die Isolation durch Luftschichten.“ Man empfehle deshalb Frauenschnitte und Herrenschnitte und eine individuelle Vermessung und Größensatzermittlung durch einen Fachmann.
Spezielle Einzelanfertigungen gibt es auch bei Comazo: „Für unsere Flammschutz- Kollektion produzieren wir Damenschnitte auf Nachfrage und zum aktuellen Stand wird dieses Berufsbild noch von einer Männerdomäne beherrscht. Trotzdem sind wir nicht nur an der Entwicklung von Damen-Passformen, sondern haben diese auch schon gezielt für Behördenaufträge (Polizei und Militär) angefertigt, da wir auf Anfrage produzieren.“
Maßarbeit
Der Hersteller Seamtex agiert hier flexibel. Zwar findet sich im Portfolio kein eigener Damenschnitt, aber: „Wir lösen die Problematik im Zuge von persönlichen Anproben und fertigen für Frauen defacto maßgeschneiderte Kleidung an. Sprich: wir stellen Jacken am Bund aus, passen den Brustbereich und die Rückenlänge so an, sodass die Jacke perfekt sitzt. Bei den Hosen wird es gleich gemacht.“ Ähnlich hat es auch die Feuerwehr München gehandhabt, die Anfang dieses Jahres für sämtliche Wehrmitglieder neue Schutzkleidung beschafft hat (siehe FEUERWEHR 5/21). Amtsleiter Wolfgang Schäuble berichtet, dass jeder Mann und jede Frau vermessen und individuell passende Kleidung genäht wurde. Dieses Vorgehen ist optimal, aber wohl nicht jeder Wehr möglich. In München beschaffte man so rund 4.200 Schutzjacken und 5.700 Schutzhosen.
In den Katalogen von Rosenbauer findet man keine speziellen Schnitte für Frauen. Die Firma setzt stattdessen auf große Auswahl und erklärte auf unsere Nachfrage: „Rosenbauer ist einer der wenigen Anbieter, der fast alle Modelle in den Größen 40 bis 70 in fünf Längen führt: also ein wirklich reichhaltiges, umfassendes Größen- und Längenangebot“. Ähnlich sieht es bei Heinrich Vorndamme/Isotemp aus. Auch hier hat man im Bereich der Tagesdienstbekleidung Schnitte für Damen im Programm. Für die Brandschutzkleidung gibt es allerdings viele Möglichkeiten zur Individualisierung.
Extra für Feuerwehrfrauen
Der Hersteller Deva-FM hat als einer der wenigen eigene PSA für die Feuerwehrfrau herausgebracht und Ende September 2021 die ersten Feuerwehrfrauen damit ausgestattet. Der Anlass war eine entsprechende Anregung des Netzwerks Feuerwehrfrauen. Das „Lady-Design“ ist für beide Varianten der Deva-Einsatzbekleidung nach EN469/2020 Level 2 für den Innen angriff erhältlich, also für die Produkte Red Fox (Elite) und Tiger-Plus (Premium). Es sind alle Lagenaufbauten, Ausstattungsvarianten und Farben analog zur Herrenkleidung möglich. Wie bei den Männern wird die passende Größe über Anprobesätze ermittelt. Gemessen werden Körpergröße, Brustumfang, Hüftumfang, Bein- und Armlänge. Die wesentlichen Unterschiede sind:
- Schutzhose: Taillierung, beidseitige Hüftweitenverstellung, angepasste Breite im Oberschenkelbereich
- Schutzjacke: Schmaler ausgestellte Schulter- und breiter ausgestellte Hüftpartie
Insgesamt entstand eine Schutzkleidung, die für Feuerwehrfrauen ohne Druckstellen im Oberkörper- oder Beinbereich auskommt, ohne zugleich zu viel Luft zwischen Körper und Kleidung zu halten. Auch bei den Herrenschnitten bietet Deva Flexibilität: Für das Modell Premium 674 gibt es diverse Größenmodule für eine möglichst genaue Passform.
Auf Spurensuche
Simone Morlock machte die Beobachtung, dass das Thema „Schutzkleidung für Frauen“ zwar im gesamten Workwear-Bereich seit einigen Jahren immer wieder aufgekommen ist, aber dennoch nie zum Durchbruch kam. Als Ursache vermutet sie bspw. den wirtschaftlichen und logistischen Aufwand, der dahinter stünde. Die Träger des Brandschutzes müssen ohnehin eine große Bandbreite an PSA in verschiedenen Größen und Längen bereithalten. Käme noch einmal die selbe Auswahl in Form von Damenschnitten hinzu, ergäben sich Mehrkosten bei der Beschaffung, und es würde mehr Platz in den Kleiderkammern benötigt.
Fireliner hat der Redaktion gegenüber Ähnliches geschildert: „Fireliner bietet keine spezielle ‚Frauen-Feuerwehreinsatzbekleidung‘ an. Grund sind die niedrigen Anwenderzahlen, es gibt nur wenige Frauen in der Feuerwehr (unter 10 % der Einsatzkräfte). Die Kosten für
- Entwicklung,
- Zertifizierung,
- jährliche Konformitätsprüfung,
- erhöhte Produktionskosten aufgrund kleiner Losgrößen sowie
- erhöhte Logistikkosten der Kommunen
sind die Gründe, warum Fraueneinsatzbekleidung nicht wirtschaftlich hergestellt werden kann.“ Stattdessen setzt man auch hier auf flexible Anpassungsmöglichkeiten der Kleidung, etwa durch diverse Jackenumfänge und -längen, anpassbare Ärmel- und Hosenlängen sowie einem Hosenbund mit zwei Verstellsystemen zur Taillenregulierung. Durch ein Größenangebot von 38/40 bis 74/76 kann jede Größe in über 30 Untergrößen aufgeteilt werden.
Bitte keine Sonderbehandlung!
Einige Feuerwehrfrauen finden auch bei den Herrenschnitten passende Schutzkleidung. Andere, weniger androgyn geformte Damen, tun sich schwerer. Doch nicht jede macht Ansprüche auf passende PSA geltend. „Unglaublich viele Feuerwehrfrauen wollen bewusst keine Sonderbehandlung. Gerade als Frauen in einer nach wie vor männerdominierten Domäne möchten sie nicht unnötig Schwierigkeiten machen“, schildert Andrea Fürstberger, die Landesfrauenbeauftragte des LFV Bayern. Es scheitert, das soll hier klar gesagt werden, für gewöhnlich nicht am schlechten Willen der männlichen Kameraden. Die meisten Feuerwehrmänner wollen ihre Kameradinnen selbstverständlich ebenso passend ausgerüstet wissen wie jedes andere Feuerwehrmitglied. So gesehen würden sie den Wunsch nach Frauenschnitten in der PSA wohl mehrheitlich nicht als eine „Sonderbehandlung“ empfinden.
Derzeit müssen Feuerwehrfrauen, die mit den angebotenen Herrenschnitten nicht zurechtkommen, individuelle Beschaffungen fordern – schlicht, weil es kein anderes Angebot für sie gibt. Die sprichwörtliche Katze beißt sich hier selbst in den Schwanz: Frauengrößen sind nur eine „Sonderanfertigung“, weil sie nicht standardmäßig angeboten werden. „Hier sind die Hersteller klar in der Pflicht“, findet Andrea Fürstberger: „Wenn es immer Frauenschnitte gäbe, wäre es auch kein besonderer Aufwand mehr für eine Feuerwehr, ihren Kameradinnen passende Kleidung anzubieten.“ Sonderanfertigungen wären nicht häufiger notwendig als bei den Herren. „Frauen zur Feuerwehr“ lautet ein Slogan des LFV Bayern. Damit das klappt, sollten die Rahmenbedingungen stimmen. Andrea Fürstberger findet: „Bei dem jährlich steigenen Frauenanteil, der mittlerweile rund 10 % der Feuerwehrdienstleistenden in Bayern beträgt, ist es an der Zeit.“
Sarah Altendorfer
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