Brandstifter bei der Feuerwehr
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Expertengespräch zu Motiven, Erkennung und Prävention
Nach einem erneuten Brand im südhessischen Groß-Zimmern hat die Polizei einen 25 Jahre alten Mann festgenommen, der dringend verdächtigt wird, das Feuer in der Schreinerei (siehe Meldung in FEUERWEHR 10/2011) gelegt zu haben. Seit Mai gab es in der Region insgesamt 21 Brände mit einem Gesamtschaden von rd. 150.000 Euro.
An dem Tag, an dem die Schreinerei brannte, wurde in Groß-Zimmern ein 17 Jahre alter Jugendlicher beerdigt, der sich das Leben genommen und in einem Abschiedsbrief gestanden hatte, drei der Feuer gelegt zu haben. Er war Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Als Motiv für sein Zündeln habe der Jugendliche in einem Abschiedsbrief angegeben, er habe mit den Taten den Zusammenhalt in der Feuerwehr verbessern wollen, gab die Staatsanwaltschaft an.
Was treibt einen, der sich dem Retten von Menschen und der Bekämpfung des Feuers verschrieben hat, zu so einer Tat?
Wir sprachen darüber mit Frank D. Stolt, einem Kriminologen, Brandsachverständigen und Feuerwehrmann aus Mannheim, der sich seit Jahren intensiv mit dem Phänomen Brandstiftung durch Feuerwehrleute und den Motiven, die dahinterstecken, beschäftigt.
Wenn Feuerwehrleute von Brandstiftung durch Feuerwehrangehörige hören, sind sie stets besonders betroffen. Kommen solche Fälle sehr häufig vor?
Frank D. Stolt: Nein! In den Reihen der Feuerwehr finden sich viel seltener Brandstifter als im Rest der Bevölkerung. Nur die Wahrnehmung ist eine andere, da das öffentliche Interesse weit größer ist. Die Medien berichten über solche Fälle viel ausführlicher. Für die ist der Mann, der einen Hund beißt, weit interessanter als ein Hund, der einen Mann beißt.
Zündelnde Feuerwehrmänner sind also die Ausnahme?
Stolt: Ja, denn Feuerwehrleute haben in den meisten Fällen ein völlig anderes Hauptmotiv als andere Brandstifter. Sie sind keine „Pyromanen“, die sich an den Flammen ergötzen. Es geht auch nicht um Rache, Habgier, weltanschauliche, politische oder religiös Motive oder die Verdeckung eines Verbrechens wie in anderen Fällen, nicht um Vandalismus und Zerstörungswut. Allerdings gibt es immer wieder ein wiederkehrendes Hauptmotiv, das sich deutlich abhebt. Man kann es als „Drang nach sozialer Anerkennung“ umschreiben. Diese Bezeichnung ist etwas differenzierter als das oft zitierte Geltungsbewusstsein. Zumeist sind die Täter also vom Wunsch getrieben, als ein „Held“ Anerkennung zu finden. Sie sind die Ersten am „Spritzenhaus“, beim Löschen sind sie ebenfalls die Ersten, und nicht selten bringen sie sich dabei sogar in Gefahr. Oft sind sie es, die den Brand melden. Es sind u. a. diese Verhaltensweisen, die die Polizei oft recht rasch zum Täter führt. Auch darin unterscheiden sich brandstiftende Feuerleute von anderen Serienbrandstiftern, die in der Regel sehr schwer zu überführen sind. Der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) geht von ca. 12 Fällen pro Jahr aus, in denen es sich beim Brandstifter um den Angehörigen einer Freiwilligen Feuerwehr handelt. Betrachten wir also nur die Zahlen, sind Brandstifter bei der Freiwilligen Feuerwehr scheinbar(!) kein wirkliches Problem. Allerdings ist die Wirkung nach außen für die betroffenen Feuerwehren nicht selten verheerend. Ein weiteres Problem kommt hinzu. Ebenfall „scheinbar“ unbemerkt haben sich in den letzten Jahren diese Zahlen immer mehr und kontinuierlich nach oben korrigiert. In diesem Jahr sind wir schon jetzt bei über 30 bekanntgewordenen Fällen. Und spätestens diese Entwicklung sollte nun in der Tat zum Nachdenken anregen.
Sind diese Täter also verhinderte Helden?
Stolt: So könnte man es verkürzt sagen. Es sind in den allermeisten Fällen junge Männer zwischen 18 und Ende 20, die noch nicht ihren festen Platz im Leben und der Gemeinschaft gefunden haben. Sie sind oft leidenschaftliche Feuerwehranghörige und haben nach vergeblicher Suche in anderen Vereinen in der Feuerwehr eine Heimat und Kameradschaft gefunden. Der Löscheinsatz bietet ihnen endlich die Chance, anderen zu zeigen, was wirklich in ihnen steckt. Sie sind kein mittelmäßiger Loser am Rand der Gesellschaft mehr. Endlich stehen sie einmal im Mittelpunkt und glauben, die gefeierten „Helden“ zu sein. Feuerwehren haben ebenfalls eine wichtige soziale Funktion -insbesondere auf dem Land. Sie haben auch zunehmend Platz in ihren „sich lichtenden“ Reihen für jene, die mangels Talent im Sport- oder Theaterverein nicht unterkommen. Das birgt aber Gefahren. Junge Menschen wollen sich beweisen, wollen anerkannt werden. Bleibt ihnen das zu oft verwehrt, kann die Sehnsucht danach übermächtig werden. Da kommt die Werbung für die Feuerwehr gerade zur „rechten Zeit“. Wenn es da nicht ein Problem gäbe. Die meisten Einsätze sind heute Hilfeleistungen. Brandeinsätze sind in den letzten Jahren glücklicherweise immer mehr rückläufig. Aber was tun, wenn man keine Gelegenheit bekommt sich auszuzeichen, weil’s einfach nicht brennt im Ort?
Können die Führungskräfte in den Feuerwehren etwas tun, um solche Fälle zu vermeiden?
Stolt: Letztendlich ist es nicht zu vermeiden, dass es immer wieder einmal einen Brandstifter bei der Feuerwehr gibt. Aber es kann eine Menge dagegen getan werden. Dazu gehört es, nicht dem Sankt-Florian-Prinzip zu verfallen. Es kann jede Freiwillige Feuerwehr treffen … – besonders dann, wenn das „Problem“ verdrängt und nicht offensiv angegangen wird! Aus diesem Grund muss vom Kommandanten bis zum einfachen Feuerwehrmann Sensibilität für dieses Phänomen geweckt werden. Dabei stellen sich etwa folgende Fragen:
Wer kommt zu uns?
Wie gehen wir mit denen, die zu uns kommen, um?
Welches Klima herrscht in unserer Wehr?
Haben wir über unsere „Technikverliebtheit“ und „Heldentaten in der Vergangenheit“ diese jungen Menschen aus den Augen verloren?
Auf der anderen Seite bleibt den Führungskräften neben den vielen Verwaltungs- und Leitungsaufgaben kaum Zeit, sich intensiv um die Jungen zu kümmern. Aus diesem Grund ist das Auswahlverfahren oft nur ein mehr oder weniger formaler Akt.
Hinzu kommt, dass bestimmte „Verfahren“ z. B. das „Kölner Modell“ nur bedingt hilfreich sind und Verwendung finden können.
Wichtiger wäre eine wirkliche Integration. Vorstellbar sind sogenannte „Kümmerer“ (Tutoren), die selbst noch junge Feuerwehrmänner sind und einem „Neuen“ zur Seite gestellt werden. Dabei sollen sie ihn bei seinen ersten Schritten begleiten und ihm helfen, frühzeitig mit „falschen“ und „verqueren“ Vorstellungen in den Köpfe von den heutigen Herausforderungen an die Feuerwehr aufzuräumen.
„Feuerwehrmänner“ umgibt seit den bildlichen Darstellungen auf Gemälden und reproduzierten „Ölschinken“ des ausgehenden 19. Jh. und vielen amerikanischen Spielfilmen in unseren Tagen ein regelrechter falscher(!) Heldenmythos. An dem einen oder anderen „Feuerwehrstammtisch“ wird der durch die Erzählungen der „alten Kämpfer“ noch kräftig genährt. Da werden die „Löscheinsätze“ vergangener Tage von „bierseeliger“ Stunde zu Stunde noch spektakulärer.
So bekommen die „Neuen“ nicht nur eine völlig falsche Vorstellung von den Anforderungen an die Arbeit der Feuerwehren.
Der Vorsitzende des Landesfeuerwehrverbandes Baden-Württemberg hat kürzlich bei einer Feierstunde an einem „Feuerwehrdenkmal“ darauf hingewiesen, dass heute nicht „heldenhafte Einzelkämpfer“ sondern Teamgeist bei den Feuerwehren gefragt sind.
Wie soll die Nachwuchsarbeit also ausschauen?
Stolt: Die Nachwuchsarbeit beginnt in den Kindergärten, in den Arbeitsgemeinschaften in den Schulen und nicht zuletzt in den Jugendfeuerwehren. Sie beginnt bei der Außendarstellung und der Mitgliederwerbung und nicht erst bei der Aufnahme in die „Einsatzabteilungen“.
Außerdem sollte der Übertritt von der Jugendfeuerwehr zur Einsatzabteilung als ein wichtiger Einschnitt im Leben eines jungen Menschen verstanden werden, der begleitet werden muss. Unser Rechtsystem trägt im Jugendgerichtsgesetz (JGG) dem Rechnung: Das biologische Alter ist nicht immer gleich der entsprechenden psychischen und geistigen Entwicklung sowie der persönlichen Reife.
In den Jugendgruppen haben unsere Feuerwehren sehr gut ausgebildete und erfahrene Jugendfeuerwehrwarte und eigene Betreuer. Das ist gut. Doch gerade an der sensiblen Stelle des Übertritts, insbesondere bei den ersten Schritten in der Einsatzabteilung, fehlt sehr oft genau diese fachkundige Betreuung.
Modelle, die neue Mitglieder oder Angehörige der Jugendfeuerwehren am Anfang ihrer Mitwirkung in der Einsatzabteilung begleiten, zeigen Wirkung.
Mädchen in den Jugendfeuerwehren haben eine positive Wirkung?
Stolt: Ja, Mädchen sind nicht so anfällig für die „falschen“ Heldengeschichten. Es ist auch erwiesen, dass sie einen anderen Ton, andere Umgangsformen in die „männerdominierten“ Gruppen bringen. Auch hier ist Sensibilität ein wichtiges Schlüsselwort!
Wie sollte sich eine Feuerwehr verhalten, wenn ein Brandstifter aus den eigenen Reihen kommt?
Stolt: Offensiver Umgang nach außen ist wichtig. Auf der einen Seite haben viele unserer Feuerwehren u. a. mit ihrem Internet-Auftritt und einer zum Teil sehr „offensiven“ Öffentlichkeitsarbeit erkannt, dass wir in einer Informations- und Mediengesellschaft leben. Auf der anderen Seite sollte auf allen Ebenen kommuniziert werden: Ein Brandstifter im „blauen Rock“ ist eben nicht „die“(!) Feuerwehr.
Aber auch aktiver Umgang mit diesem Problem nach innen ist gefragt. Die Täter sind oft noch sehr jung und stehen am Anfang ihres Lebenswegs. Es gilt, was für jeden Geltung hat, der straffällig wird. Er muss sich mit seiner Tat und den Opfern auseinandersetzen. Er muss die straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen tragen. Aber er hat auch die Chancen und Möglichkeiten, mit den Lehren aus seiner Tat einen anderen Weg zu beschreiten. Dies wird sicherlich kein einfacher Weg sein. Das Stigma „Brandstifter als Feuerwehrmann“ wird diesen Weg auch nicht gerade erleichtern. Vielleicht hilft der Umgang mit der Schuld jedoch diesen jungen Menschen, auch ihren Platz in der Gesellschaft zu finden, ohne falsches Heldentum.
Schnell ist so mancher mit dem Ruf nach „Ausschluss“ und „Rauswerfen“ dabei. Doch auch hier sollte gelten, jeder einzelne Fall und die jeweilige Schwere der Schuld müssen für sich bewertet werden. Ein Beamter, der eine Straftat begeht, bei der es sich nur um ein „Vergehen“ (§12 StGB) handelt, muss dienstrechtlich nicht automatisch mit der „Entfernung aus dem Dienst“ rechnen. Hier sei nochmals an das JGG und seine Intention erinnert. Aber eines ist auch klar: In der Regel wird es kein Zurück für den „Brandstifter im blauen Rock“ in die Feuerwehr geben.
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