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Der Paging-Kongress 2014

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Mit ca. 180 Teilnehmern war auch der 10. Nationale Paging-Kongress, der am 24. und 25. Februar in Berlin stattfand, gut besucht.

Seit 2003 werden – anfangs jährlich, zuletzt im zweijährigen Rhythmus – auf der von e*message ausgerichteten Veranstaltung Alarmierung von Einsatzkräften und Warnung der Bevölkerung thematisiert. Die Diskussionsrunde der Alarmierungsexperten aus Bund, Ländern, Kreisen und Kommunen ist in die Jahre gekommen, aber überlebt hat sie sich nicht: „Erst wenn alle offenen Fragen geklärt sind, kann man vielleicht auf die Paging-Kongresse verzichten – was derzeit jedoch nicht absehbar ist“, so Albrecht Broemme, Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) und Initiator der Nationalen Paging-Kongresse.

Gleichwohl hat sich über die Jahre eine Verschiebung der Themen ergeben. War 2003 das hauptsächliche Ziel, die Probleme der Alarmierung ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, so dominierte elf Jahre später die Warnung der Bevölkerung die Jubiläumsveranstaltung. Warum das so ist, brachte Marlies Cremer, Amtsleiterin im Bereich Bevölkerungsschutz der Städteregion Aachen, im Expertenforum am zweiten Veranstaltungstag auf den Punkt: „Die Alarmierung ist in guten Händen, die Warnung wird stiefmütterlich behandelt.“

„Zerrieben zwischen Bund und Ländern?“

Nachdem vielerorts die Sirenen (mit dem Argument zu hoher Kosten) abgebaut wurden, fehlt eine geschlossene Informationskette für die Warnung der Bevölkerung im Katastrophenfall. Gleich mehrfach ließen Referenten anklingen, dass die gute alte Variante der Durchsage per Lautsprecherwagen auch kontraproduktiv sein kann. Dann nämlich, wenn – etwa nach einem Chemieunfall oder Brand – die Fenster geöffnet werden, um die Lautsprecherdurchsage „Fenster geschlossen halten“ überhaupt zu verstehen.

Das Modulare Warnsystem (MoWaS), über dessen aktuellen Ausbaustand Hans-Gerrit Möws, Leiter Warnung der Bevölkerung beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz, informierte, ist ein Ansatz. Aber zu allererst hat das auf das satellitengestützte Warnsystem des Bundes (SatWaS) aufsetzende MoWaS einen ganz eng angelegten Bestimmungszweck: Die letzten verbleibenden 12 Minuten nach einem Raketenstart müssen reichen, um im Falle einer ballistischen Bedrohung die Bevölkerung zu warnen. Zivilschutz – eine Aufgabe des Bundes.

Der Charme von MoWaS liegt vor allem in den vielen verschiedenen Wegen, über die Warninformationen unabhängig voneinander zur Bevölkerung gelangen. Es liegt auf der Hand, dass die maximal mögliche Mitnutzung des Modularen Warnsystems die Warnung der Bevölkerung im Katastrophenschutz (eine Aufgabe der Länder und Kommunen) sehr unterstützen könnte.

Es ist ein Eindruck vom 10. Paging-Kongress, dass die hierzu erforderlichen Abstimmungen zwischen Bund und Ländern erst am Anfang stehen. Denn insgesamt war in großer Vielstimmigkeit auf der Veranstaltung nicht zu überhören, dass es schlecht um die Warnung der Bevölkerung im Katastrophenfall bestellt ist: „Wir hinken maßlos hinterher, was die Warnung der Bevölkerung betrifft“, ist sich Hartmut Ziebs, Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, sicher. „Das gemeinsame Warnsystem von Bund und Ländern muss zügig ausgebaut werden“, warf Peter Grüßner, Ministerialdirigent im Innenministerium Rheinland-Pfalz und Vorsitzender des AK V der Innenministerkonferenz, in großen Lettern an die Wand.

Dr. Robert Rath, Direktor des Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi) bereicherte die Diskussion mit einer Warnung: „Ich warne davor, die Warnung rein technisch zu sehen, wir brauchen ein abgestimmtes Krisenmanagement auf Bundesebene.“ Und Fazit Nr. 1 im Vortrag von Dr. Klaus Hütten, Verkaufsdirektor bei e*message, war: „Katastrophenschutz benötigt, eigentlich sofort, geeignete Mittel zur gesicherten Warnung und vorbeugenden Information der Bevölkerung“.

Kein Zweifel, dahinter steckt auch die Absicht des Berliner Unternehmens, mit der Warnung der Bevölkerung Geld zu verdienen: „Würden wir nur Warnung machen, müssten wir Insolvenz anmelden“ (Dr. Dietmar Gollnick, Geschäftsführer e*message). Aber das Klagelied zum rundum unbefriedigenden Zustand der Warnung im Katastrophenfall fiel so vielschichtig und allumfassend aus, dass man dem Veranstalter grob unrecht täte, es allein als geschickte Lobbyarbeit in eigener Sache abzutun.

Axel Dechamps, Moderator des Expertenforums, formulierte die Situation zur Warnung der Bevölkerung so: „Zerrieben zwischen Bund und Ländern?“ Die Korrektheit des Zitats verlangt das Fragezeichen – der Verlauf der Diskussion ergab ein Ausrufezeichen. Dabei wird das Problem immer drängender. Nur ein Beispiel: Peter Grüßner informierte, dass in Auswertung des Reaktorunfalls von Fukushima die Evakuierungszonen um Kernkraftwerke in Deutschland vergrößert werden, von 10 km auf voraussichtlich 20 km. Man muss kein Mathematiker sein, um zu verstehen, dass sich damit die Anzahl der im Ernstfall zu warnenden Personen – gleiche Bevölkerungsdichte über die Fläche unterstellt – nicht nur verdoppelt sondern vervierfacht.

Wo Rauch(melder) ist muss doch kein Feuer sein

Immer wieder gern diskutiert: Der Rauchwarnmelder als aktiver Empfänger von Warnungen. Die technische Lösung wurde bereits vor einigen Jahren vorgestellt. Aber über den Berg – das zeigten die Diskussionen überdeutlich – ist dieser Ansatz noch lange nicht. Wegen seiner Unabhängigkeit von der allgemeinen Energieversorgung und seiner Weckfunktion, die über andere Medien nicht im gleichen Maße gegeben sind, könnte er (in Kombination mit Folgeinformationen über Radio und Fernsehen) eine Lücke schließen. Doch auch in diesem Jahr war auf dem Berliner Kongress der Weg nicht so recht auszumachen, über den er durchgängig in die Haushalte kommen soll.

Zwar war der Ruf von Rechtsanwalt Norbert Küster, der den Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektroindustrie (ZVEI) vertrat, laut genug: „Man muss sich regierungsamtlich entscheiden, wir brauchen ein Gesetz.“ Doch wer weiß, wie schwierig – und das aus gutem Grund – es ist, die Bürger mit Gesetzestexten zu irgend etwas verbindlich zu verpflichten, weiß auch, wie dick die Bretter sind, die hier gebohrt werden müssen. Deshalb ist Marlies Cremer, die nach eigenem Bekunden noch zehn Jahre bis zur Pensionierung arbeiten muss, in ihrer Befürchtung nicht allein: „Eine gesetzliche Regelung zum Einsatz intelligenter Brandwarnmelder werde ich in meiner Dienstzeit wohl nicht mehr erleben.“

Abgesehen von der Frage nach der Durchsetzbarkeit – so ganz einig sind sich die Experten bei diesem Thema auch inhaltlich noch nicht. Denn jetzt gilt, wenn der Rauchmelder – vielleicht nachts, während des Tiefschlafs der Bewohner – anspringt: Nicht nachdenken, Feuer, Gefahrenzone verlassen. Später könnte gelten: Nachdenken, Fallunterscheidung treffen: Ton A, eine Warnmeldung, Fernseher einschalten, weitere Informationen einholen; Ton B, Feuer, nichts wie raus. Ob diese Unterscheidung in der Hektik des Geschehens dann gutgeht? Auch bei älteren Menschen? Nie geprobt? Schlaftrunken? Der Fortschritt ist bekanntlich eine Schnecke – immerhin ist man aktuell schon einmal dabei, einheitliche Signaltöne für ankommende Warnmeldungen per Rauchwarnmelder zu standardisieren.

Soziale Netze: Fluch oder Segen für die Krisenkommunikation?

Breiten Raum nahmen auf dem 10. Nationalen Paging-Kongress die Erfahrungen des Elbehochwassers 2013 ein. Weil auf sie in dieser Zeitschrift bereits mehrfach eingegangen wurde, soll an dieser Stelle darauf verzichtet werden. Aber ein Aspekt dann doch: Die Rolle der sozialen Netze für die Krisenbewältigung stellt sich für die Einsatzkräfte offensichtlich zweischneidig dar.
Es ist unumstritten, dass Facebook, Twitter oder Google Maps Unterstützer in der Krisenkommunikation sein können; bei der Aktivierung freiwilliger Helfer können sie Großartiges leisten. Auch wird darüber nachgedacht, wie das Informationsaufkommen von Privatpersonen – z.B. mit dem Smartphone gemachte Bilder – in geeigneter Form in die offizielle Lagebewertung einfließen kann.

Aber dann gibt es noch die andere Seite, die Ministerialdirektor Norbert Seitz, Leiter der Abteilung Krisenmanagement und Katastrophenschutz im Bundesinnenministerium, „Konkurrenz der Lagebeschreibungen“ nannte und DFV-Mann Hartmut Ziebs so beschrieb: „Es gibt in Deutschland 80 Millionen Experten für Straßenbau, 60 Millionen Fußballtrainer und 50 Millionen Bordsteinkommandanten.“

Das Problem: In Zeiten von Tritter & Co. können sich letztere im Katastropheneinsatz sehr schnell und mit größerer Tragweite Gehör verschaffen als früher. Im Einzelfall hat das beim Elbehochwasser z.B. dazu geführt, dass die automatische Sandsackbefüllungsanlage abgeschaltet wurde, nur um in Überzahl herbeigeeilte freiwillige Einsatzkräfte nicht vor den Kopf zu stoßen. Eine unerfreuliche aber vergleichsweise harmlose Anekdote.

Die Balance zu halten ist für die Einsatzkräfte eine schwierige Herausforderung; das richtige Gegengift zur Vielzahl „privater Lagezentren“ scheint noch nicht gefunden zu sein. Fest steht indes: Ignorieren ist auch keine Lösung.

Unterbelichtet: Alarmieren über TETRA

Zu kurz gekommen ist auf der Veranstaltung die Perspektive der Alarmierung im Digitalfunknetz der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), was wohl auch der eigenen Interessenlage des Veranstalters bei diesem Thema geschuldet ist. Die ab Anfang 2015 reale Perspektive, der sich allerdings vorerst nur Hessen und Bayern verschrieben haben, über das BOS-Digitalfunknetz auch zu alarmieren, steht im direkten Wettbewerb zu Pocsag im Netz von e*message. Zwar kam Andreas Reckert, Arbeitsgruppe N1 – Strategie, TETRA-Standard, technische Richtlinien der Bundesanstalt für den Digitalfunk der BOS (BDBOS), nach einem allgemeinen Sachstandsbericht zur Einführung des BOS-Digitalfunks auch kurz auf die TETRA-Alarmierung zu sprechen, beschränkte sich aber auf vergleichsweise knappe Angaben, dass die Verfahren zur Beschaffung von 65.000 TETRA-Pagern für Hessen und 108.000 für Bayern „derzeit laufen“ und dass das Netz (inkl. Organisationskanal) ausreichend Ressourcen für die Alarmierung über TETRA haben werde.

Es ist paradox, 2008 auf dem 6. Nationalen Paging-Kongress – noch kein BOS-Digitalfunknetz weit und breit, keine Entscheidungen pro Alarmierung mit TETRA in ausgewählten Bundesländern, noch kein Entwicklungsauftrag für TETRA-Pager an Cassidian (jetzt Airbus Defence and Space) – wurde das Thema heißer diskutiert als am Vorabend der Verfügbarkeit von TETRA-Alarmierung im BOS-Netz. Gewiss kein Zufall, ein absichtsvoller Regiefehler des Veranstalters auf dem 10. Nationalen Paging-Kongress. Der einzige.
Frank Backasch, freier Journalist

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