Wie viel Feuerwehr braucht eine Kommune?
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Wie viel Feuerwehr eine Kommmune braucht, entscheidet die individuelle Gefahrenlage.
Seit mehreren Jahren werden für kommunale Feuerwehren Brandschutzbedarfspläne erstellt. Sie geben Antwort auf die Frage, wie viel Feuerwehr benötigt wird und welche Anschaffungen in welchen Zeiträumen getätigt werden müssen. Entscheidend dabei ist die individuelle Gefahrenlage vor Ort.
„Der Brandschutzbedarfsplan dokumentiert die politische Festlegung des angestrebten Sicherheitsniveaus einer Gemeinde. Er beantwortet die triviale Fragestellung: Wie viel Feuerwehr braucht unsere Stadt?“ – so steht es im Dezember 2011 verabschiedeten Brandschutzbedarfsplan der Stadt Remscheid (NRW) geschrieben. „Wie viel Feuerwehr“ eine Kommune benötigt und welche Konsequenzen sich hieraus ergeben, diese Frage beschäftigt etliche Verantwortliche von Städten und Feuerwehren in der ganzen Bundesrepublik. Denn seit einigen Jahren werden verstärkt Brandschutz- bzw. Feuerwehr-Bedarfspläne erstellt, um die Gefährdungen im Einsatzbereich einer Feuerwehr zu analysieren, niederzuschreiben und die daraus ergebenden Bedarfsermittlungen für den Brandschutz zu definieren.
Sind die Feuerwehren ausreichend ausgestattet? Stehen genügend Einsatzkräfte zur Verfügung? Bedarfspläne versuchen Antworten auf diese Fragen zu geben und mögliche Veränderungen für eine Optimierung hin zum angestrebten Sicherheitsniveau zu liefern. Im Falle der Stadt Remscheid sind im Brandschutzbedarfsplan folgende Punkte zur Beschreibung der Qualität genannt:
- Hilfsfrist(Zeit vom Meldungseingang einer Gefahr bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte am Schadensort)
- Funktionsstärke (Anzahl der qualifizierten Einsatzkräfte vor Ort)
- Erreichungsgrad (Prozentualer Anteil aller Einsätze, bei dem Hilfsfrist und Funktionsstärke eingehalten werden)
Diese Punkte werden zusammengefasst als Schutzziele bezeichnet. Im Falle von Remscheid sind folgende Schutzziele definiert:
- Schutzziel 1 (Kritischer Wohnungsbrand)
Die Hilfsfrist von 16 Funktionen mit zwei Löschfahrzeugen, zwei Drehleitern und einem Einsatzleitwagen beträgt acht Minuten (nach der Alarmierung der Einsatzkräfte) mit einem Erreichungsgrad von mindestens 80 % und 13 min mit einem Erreichungsgrad von 100 %.
- Schutzziel 2 (Brand auf zugewiesenem Autobahnabschnitt)
Für Brandeinsätze auf den durch die Bezirksregierung zugewiesenen Autobahnabschnitten beträgt die Hilfsfrist acht Minuten (nach der Alarmierung) für drei Funktionen mit einem wasserführenden Löschfahrzeug bei einem Erreichungsgrad von 90 %.
- Schutzziel 3 (Paralleleinsatz)
Im Falle von Paralleleinsätzen beträgt die gesonderte Hilfsfrist acht Minuten für sechs Funktionen mit einem Löschfahrzeug bei einem Erreichungsgrad von mindestens 80 %.
Andernorts können diese natürlich unterschiedlich ausfallen, nicht überall bestehen die gleichen Gefahren, beispielswiese durch Autobahnen oder Industriegebiete, und nicht überall sind die Voraussetzungen für den Einsatz durch die Feuerwehr identisch. Doch genau diese individuellen Unterschiede sollen ja in einem Bedarfsplan berücksichtigt werden.
„Zur Ermittlung der notwendigen Größe (Personal, Fahrzeugtechnik, Standorte) einer Feuerwehr muss zunächst eine Festlegung der gewünschten Qualität ihrer Produkte und Leistungen erfolgen. Diese Qualität muss auf Basis einer ortsspezifischen individuellen Risikoanalyse abschließend durch den Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart festgelegt werden. Der Feuerwehrbedarfsplan dient dazu, an Hand objektiver Kriterien das richtige Maß der vorzuhaltenden Feuerwehr zu bestimmen und festzuschreiben. Dazu werden anhand von Bemessungsszenarien Schutzziele für die Landeshauptstadt Stuttgart definiert“, heißt es denn auch folgerichtig in der Einleitung zum Feuerwehrbedarfsplan Stuttgart (BW). Und im Bedarfsplan der Stadt Leichlingen (NRW) steht: „Das Ergebnis der Gefahrenanalyse ist entscheidend für die Bestimmung der Größenordnung des feuerwehrtechnischen Bedarfs.
Es wird hieraus deutlich, welche Gefahren in welcher Größenordnung in der Gemeinde bestehen. Dementsprechend muss die Größe des Gefahrenabwehrpotenzials und damit die notwendige Leistungsfähigkeit der Feuerwehr bemessen werden. Mögliche Ergebnisse können z. B. die Notwendigkeit für Feuerwehrstandorte, für technische Ausrüstung sowie für Personal sein.“
Der Gefahrenanalyse folgt demnach die Antwort auf die Frage, wie viel Feuerwehr in einer Kommune nun benötigt wird. Wie viele Standorte sind notwendig, um die Eintreffzeiten einhalten zu können? Welche Einsatzfahrzeuge werden benötigt? Wie viele Einsatzkräfte sind notwendig, um die Technik auch effektiv einsetzen zu können?
Tagesverfügbarkeit
Insbesondere bei der Frage der verfügbaren Einsatzkräfte (bei Freiwilligen Feuerwehren), ergeben die Erhebungen im Zusammenhang mit der Erstellung eines Bedarfsplanes wichtige und aussagekräftige Informationen. Entscheidend ist, wie viele Einsatzkräfte während der üblichen Arbeitszeit in welchem Zeitraum verfügbar sind. Denn nur diese können bei einem Einsatz die Fahrzeuge besetzen und die vorgehaltene Technik einsetzen. Als Beispiel sei hier ein Blick in den Feuerwehrbedarfsplan 2011-2020 der Stadt Pforzheim (BW) genannt: die Tagesverfügbarkeit „Fünf Minuten“ schwankt bei den acht Abteilungen der Freiwilligen Feuerwehr stark. Während bei der Abteilung Würm laut Bedarfsplan 0 Personen innert fünf Minuten tagesverfügbar sind, liegt die Zahl bei der Abteilung Brötzingen-Weststadt bei acht Personen. Hieran sieht man, wie wichtig die individuelle Analyse der Tagesverfügbarkeit ist, um Aussagen zur realistischen Einsetzbarkeit der entsprechenden Abteilungen einer Feuerwehr zu treffen. In Summe liegt die Tagesverfügbarkeit „Fünf Minuten“ aller acht FF-Abteilungen im Pforzheimer Stadtgebiet laut Feuerwehrbedarfsplan übrigens bei 38.
Ein weiteres Thema sind die Feuerwehrhäuser und die Fahrzeugtechnik. Ganz generell von Bedeutung ist natürlich die Frage, ob mit den vorhandenen Standorten das Einsatzgebiet den Vorgaben entsprechend (Eintreffzeiten) abgedeckt werden kann. Nicht nur Neubaugebiete, sondern auch Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung können hier eine Rolle spielen, zumal diese auch die Anfahrtszeiten der Feuerwehr verlängern können. Neben den rein rechnerischen Anfahrtszeiten vom Feuerwehrhaus zum Schadenort muss auch die Anrückzeit der Einsatzkräfte von ihren Wohnorten aus zum Feuerwehrhaus hin bedacht werden. Auch der Zustand der Feuerwehrhäuser (und deren Prüfung auf Einhaltung der einschlägigen Normen) einer Feuerwehr gehört in einen Bedarfsplan.
Besonders emotional dürfte mancherorts der Fuhrpark behandelt werden. Welche Einsatzfahrzeuge sind notwendig? „Welche Ersatzbeschaffungen müssen mit Blick auf Alter und Zustand der Fahrzeuge durchgeführt werden? Besonders genau und „ehrlich“ schildert der Brandschutzbedarfsplan der Stadt Leichlingen (NRW) aus dem Jahr 2011 den Zustand des Fuhrparks. So heißt es u. a.: „Das TLF 16/25, MAN-FGL/Rosenbauer, … wurde auf der Vorderachse umbereift und hat nun eine Mischbereifung. (…) Diese ist in der vorliegenden Kopie des Fahrzeugscheins nicht ein- oder nachgetragen. Zudem hat die Wiegung ergeben, dass das Fahrzeug ohne Besatzung, im ansonsten betriebs- bereiten Zustand, an der Hinterachse um 120 kg überladen ist.“ An späterer Stelle heißt es zudem: „Aus diesem Grund kann bereits ohne weitere Untersuchung festgestellt werden, dass keines der Fahrzeuge über genügend Gewichtsreserven verfügt, um zusätzliche Ausrüstung aufzunehmen. Im Gegenteil muss festgestellt bzw. dringen angeraten werden, Ausrüstung zu entnehmen, um einen sicheren Fahrzustand herzustellen. Zumindest aus rechtlicher Sicht muss darauf hingewiesen werden, dass sich der Betreiber und auch die Fahrer strafbar machen, wenn Fahrzeuge im überladenen Zustand auf öffentlichen Straßen bewegt werden.“
Weitere Punkte in einem Brandschutzbedarfsplan können u. a. die Arbeitszeitregelungen bei Berufsfeuerwehren oder bei Feuerwehren mit hauptamtlichen Kräften sowie mögliche (Sonder-)Bauprojekte wie etwa neue Eisenbahntrassen oder Autobahnabschnitte betreffen.
Wie auch immer der Brandschutzbedarfsplan einer Kommune aussehen soll, er bietet gerade den Feuerwehren große Chancen, auf Defizite und fehlende Ausstattungen hinzuweisen und damit positive Veränderungen anzustoßen. Ob die Erstellung des Bedarfsplanes von einem Unternehmensberater, oder von eigenen qualifizierten Kräften durchgeführt wird, ist dabei weniger wichtig, als die Frage, ob das Ergebnis qualitativ hochwertige Aussagen für die weitere Entwicklung der Feuerwehr liefert.
Urs Weber
Interview mit Uwe-Wolf Lülf, Geschäftsführer der LUELF & RINKE Sicherheitsberatung GmbH
FEUERWEHR: Herr Lülf, ihr Unternehmen erstellt in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Brandschutzbedarfspläne. Wie sieht ihre Arbeit genau aus?
LÜLF: Erlauben Sie vorweg zunächst eine Anmerkung: Bundesweit werden für diese Planungspapiere unterschiedliche Bezeichnungen verwendet: Dies geht von Brandschutzbedarfsplan über Feuerwehrbedarfsplan bis zu Gefahrenabwehrbedarfsplan, wobei die treffendste beziehungsweise die eigentlich richtige Bezeichnung sicherlich Feuerwehrbedarfsplan ist. In einem solchen Bedarfsplan untersuchen wir zunächst das jeweilige Gefahrenpotenzial in den Kommunen, nehmen die Struktur der Feuerwehr unter die Lupe und erstellen dann den Bedarfsplan unter Berücksichtigung ggf. existierender Rahmenvorgaben im jeweiligen Bundesland. Vom Bedarfsplan gibt es zunächst einen Entwurf, der vorgestellt und intensiv diskutiert wird. Zuletzt wird der fertige Bedarfsplan dann meist vor der Politik präsentiert. In den gesamten Prozess der Erstellung des Bedarfsplans, die grundsätzlich ergebnisoffen erfolgt, wird die Feuerwehr eng mit eingebunden. Dies beginnt bei der gemeinsamen Befahrung des Gemeindegebietes und der Begehung der Feuerwehrhäuser, geht weiter über eine (moderate) Beisteuerung von Daten seitens der Feuerwehr bis zur gemeinsamen Projektgruppenarbeit, an deren Ende ein möglichst einvernehmlicher Entwurf des Bedarfsplans stehen soll.
FEUERWEHR: Aus welchen Teilen setzt sich ein Bedarfsplan üblicherweise zusammen?
LÜLF: Ein Bedarfsplan besteht klassischerweise aus den Kapiteln Aufgabenstellung und Planungsgrundlagen, Beschreibung des Gefahrenpotenzials, Definition der Schutzziele, IST-Struktur der Feuerwehr und Analyse des Einsatzgeschehens sowie dem sogenannten SOLL-Konzept und einer Zusammenfassung. Bei Freiwilligen Feuerwehren sind die „klassischen“, zu diskutierenden Themenbereiche – die dann das SOLL-Konzept prägen – die Feuerwehrhäuser, die Anzahl und Art der Fahrzeuge und die Mannschaftsstärke (Personalbestand, Ausbildungsstand und Ausrückestärken). Bei Berufsfeuerwehren wird der Bedarfsplan meist zu einer Organisationsuntersuchung ausgeweitet. Hierbei kommt gegenüber dem Bedarfsplan noch die Untersuchung der Aufbauorganisation hinzu. Also die Untersuchung und ggf. Neuausrichtung der Struktur der Abteilungen und die Festlegung der Personalausstattung in den Sachgebieten, die Bemessung der Leitstelle und ggf. die Personalbemessung für den Bereich Rettungsdienst.
FEUERWEHR: Gibt es regionale Unterschiede hinsichtlich der Vorgaben und wie sehen diese aus?
LÜLF: Unterschiede bestehen beispielsweise in den vorgegebenen Hilfsfristen bzw. Eintreffzeiten. In Rheinland-Pfalz zum Beispiel wird mit 8 Minuten Eintreffzeit geplant. In Baden-Württemberg und Hessen dagegen plant man mit 10 Minuten Eintreffzeit. In Sachsen-Anhalt wiederum werden 12 Minuten als Planungsmaßstab herangezogen. Insgesamt ist also eine erhebliche Streubreite vorhanden. Unterschiede gibt es auch in der Verbindlichkeit der Vorgaben, das heißt ob diese im jeweiligen Gesetz, in einer amtlichen Verordnung oder nur in unverbindlichen Hinweisen oder dergleichen (z.B. Positionspapier des Landesfeuerwehrverbandes) festgeschrieben sind. In Nordrhein-Westfalen gibt es beispielsweise offiziell keine Vorgaben des Landes, im Detail gibt es dann aber auf der Ebene der Bezirksregierungen verschiedene Anforderungspapiere.
FEUERWEHR: Papier ist geduldig. Wie kann ein Bedarfsplan daher mit Leben gefüllt werden, wie kann man dafür sorgen, dass eine Umsetzung auch wirklich erfolgt?
LÜLF: Dies ist ein Punkt, der uns sehr wichtig ist. Wir erstellen ungern Bedarfspläne für den Papierkorb bzw. die Schublade, sondern legen Wert darauf, dass das sogenannte SOLL-Konzept, das Empfehlungen zu den Bereichen Standorte, Fahrzeuge und Personal enthält, auch umsetzbar ist. Sichergestellt wird dies insbesondere durch eine intensive Projektgruppenarbeit, das heißt die Einbindung aller Beteiligten (Feuerwehr, Verwaltung und Politik) in die Erstellung des Bedarfsplans. Denn eines ist klar: Ein Bedarfsplan ist immer ein klassischer Kompromiss, das heißt insbesondere eine Abwägung zwischen Kosten auf der einen Seite und Schutz für den Bürger auf der anderen Seite.
FEUERWEHR: Welche Rolle spielen Aspekte der künftigen Gemeindeentwicklung, wie etwa Arbeitsplatzprognosen oder demografische Entwicklungen, zum Beispiel Geburtenrückgang und Überalterung bei Feuerwehrbedarfsplänen?
LÜLF: Wie oben bereits erwähnt, sollte ein Bedarfsplan in regelmäßigen Abständen fortgeschrieben, also angepasst, werden. Insofern können auch wir nicht mit der Glaskugel in die Zukunft sehen. Konkret bezogen auf das SOLL-Konzept bedeuten die oben angesprochenen Punkte jedoch, hierbei nur Maßnahmen vorzuschlagen, die voraussichtlich auch in einigen Jahren noch als richtig angesehen werden. Man kennt das ja beispielsweise aus dem Bereich der Bundeswehr. Da werden Kasernen erst aufwändig renoviert und dann kurz darauf geschlossen. Solche „Steuergroschengräber“ wollen wir vermeiden. Anders ausgedrückt: Die für den Feuerwehrbereich ausgegebenen Steuergelder sollen bestmöglich verwendet beziehungsweise „angelegt“ werden. Gerade in den neuen Bundesländern, wo es oft Kommunen mit sehr vielen Feuerwehrstandorten und großem Investitionsbedarf an allen Ecken und Enden gibt, gilt es, sinnvolle Prioritäten zu setzen. Wenn ich jetzt ein wenig ketzerisch sein darf, dann gilt es auch zu unterscheiden: Ist der Mitgliederschwund wirklich bedrohlich? Nicht alle „Aktven“ sind auch wirklich aktiv. Wenn also die Stärken nach unten gehen, dann muss man sehr genau schauen, ob der „harte Kern“ schrumpft oder „nur“ die Gesamtzahl. Das stellt sich örtlich sehr unterschiedlich dar. Es gibt trotz demographischer Entwicklung auch Beispiele für eine positive Entwicklung der Mitgliederzahlen. In einer Stadt in Nordrhein-Westfalen mit 30.000 Einwohnern ist es der Wehrführung beispielsweise gelungen, völlig gegen den Trend die Aktivenzahl erheblich zu steigern. Dieses Thema hat immer sehr spezifische lokale und personenbezogene Faktoren. Zur sogenannten Tagesverfügbarkeit einer Feuerwehr kann ein Bedarfsplan vor allem in folgenden Hinsichten Beiträge liefern: Erstens kann er eine Sensibilisierung für dieses Thema an sich bringen. Sei es, dass dieses Thema bei der Feuerwehr noch nicht auf der Tagesordnung stand oder dass die Problematik der Verwaltung und der Politik gegenüber noch nicht transparent war. Zweitens wird die (vielleicht gefühlt niedrige) Tagesverfügbarkeit im Bedarfsplan konkret zahlenmäßig dargestellt.
FEUERWEHR: Aufgrund einer höheren Arbeitsplatzmobilität und veränderten Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt allgemein sind heute Feuerwehrkräfte schlechter abkömmlich, als das in der Vergangenheit vielerorts der Fall war. Wie kann dem begegnet werden und welche Entwicklung sehen Sie hier?
LÜLF: Vor einigen Jahren haben wir als einen von mehreren möglichen Ansatzpunkten gegen die sinkende Tagesverfügbarkeit eine Initiative zur Einbindung von einpendelnden Feuerwehrleuten gestartet, die sogenannte Pendlertransferanalyse PETRA. Mangels Beteiligung haben wir dieses für die Feuerwehren kostenlose Angebot (internetbasiertes Werkzeug) jedoch vor einigen Monaten wieder abgeschaltet. Anscheinend war der Leidensdruck doch noch nicht groß genug… Ich glaube jedoch, dass das Thema Personalverfügbarkeit zukünftig noch deutlich intensiver diskutiert werden wird als dies bisher schon der Fall ist. Wobei hier auch andere Dinge mitspielen, die auf den ersten Blick unabhängig davon sind, wie die Frage der Abarbeitung von Kleineinsätzen. Aus unserer Sicht ist hierbei wichtig, dass über die AAO eine entsprechend differenzierte Alarmierung erfolgen kann, dass bspw. die erwähnten Kleineinsätze über Kleinalarmschleifen abgewickelt werden. Außerdem zeigt die Erfahrung aus etlichen Einsatzauswertungen, dass bei einer stichwortabhängigen Alarmierung, wenn es wirklich „um die Wurst geht“, dann meistens auch genug Kräfte kommen. Dass bei den übrigen Einsätzen, beispielsweise bei einem BMA-Alarm, die Ausrückestärke niedriger als bei einem gemeldeten Wohnungsbrand sein kann, ist selbstverständlich eine Folge davon. Die Lebenswirklichkeit im Jahr 2012 verbietet es aus unserer Sicht jedoch, hier ein reines Schwarz-weiß-Denken an den Tag zu legen nach dem Motto: Die Anwesenheitspflicht beim Einsatz ergibt sich aus dem Feuerwehrgesetz. Aus der Sicht eines Handwerkers, um ein Beispiel zu nennen, der gerade unter hohem Druck einen Kundenauftrag erledigen muss, ist es schon ein Unterschied, ob er zu einer Ölspur oder zu einem Verkehrsunfall mit Menschenrettung alarmiert wird. Der Bedarfsplan soll daher die Rahmenbedingungen schaffen, dass situationsabhängig adäquat geholfen werden kann – in der passenden Zeit, mit dem passenden Gerät und dem passenden Kräfteansatz.
FEUERWEHR: Haben Sie Beispiele für erfolgreiche Umsetzungen, bei denen die Feuerwehren aus Überzeugung Änderungen getragen und umgesetzt haben?
LÜLF: Wie bereits erwähnt, liegt uns sehr daran, dass Bedarfspläne grundsätzlich umgesetzt werden bzw. umsetzbar sind. Daher müsste ich Ihnen jetzt eigentlich unsere Referenzliste übergeben. Aber ich nenne mal ein paar konkrete Beispiele. Beginnen wir mit dem absoluten Reizthema „Standortzusammenlegung“. In der Stadt Neuruppin (Brandenburg) wurden auf unseren Vorschlag hin drei Einheiten, deren Feuerwehrhäuser allesamt nicht mehr den heutigen Anforderungen entsprachen, an einem gemeinsamen – neuen (!) – Standort zusammengelegt. In Sprockhövel (Nordrhein-Westfalen) wurden ebenfalls zwei periphere Standorte zu einem neuen zusammengefasst. Der neue Standort funktioniert seit Jahren gut. Aber Vorsicht: Standortzusammenlegungen sind keineswegs ein Allheilmittel; sie sind auch nicht immer sinnvoll, manchmal sogar sehr schädlich! Es kommt immer auf die spezifische Situation an. Außerdem müssen die betroffenen Aktiven das mittragen, sonst steht da ein neues Feuerwehrhaus ohne Feuerwehrleute; damit ist niemandem gedient. Hierzu ein Beispiel: Als ich noch aktiver Kamerad war, wurde „mein“ FF-Standort in einer Großstadt geschlossen – eine Entscheidung, die ohne Einbeziehung der Betroffenen gefällt wurde. Die Kameraden sollten nach dem Wohnortprinzip auf die umliegenden Standorte verteilt werden. Von rund 30 sind nur rund 10 überhaupt an anderen Standorten angetreten, nach einem Jahr waren wir noch ganze 5 Mann, die aktiv im Dienst geblieben sind. Das Thema „Reduzierung von Standorten / Zusammenlegung“ kann aber auch genau umgedreht stattfinden: In Löhne (Nordrhein-Westfalen) wurde beispielsweise zur besseren Versorgung ein zusätzlicher Standort eingerichtet. Ein weiteres Beispiel ist Friedrichshafen am Bodensee (Baden-Württemberg), wo vor Beginn des Bedarfsplanprozesses aus einer Spar-Diskussion heraus Überlegungen bezüglich der Auflösung einer peripheren Einheit gemacht worden waren. Im Rahmen der, grundsätzlich ergebnisoffenen, Erstellung des Bedarfsplans wurde diese Einheit jedoch als notwendig erkannt und festgeschrieben. In Friedrichshafen haben wir dafür das zweite Reizthema – Fahrzeuge – strapaziert: Im Bereich Fahrzeuge gab es durch den Bedarfsplan diverse Veränderungen, auch Fahrzeug-Verschiebungen. Auch in diesem Thema ist eine intensive Einbindung der Betroffenen wichtig und stellt den Schlüssel zum Erfolg dar. Der komplette Bedarfsplan wurde von der Feuerwehr und der Stadtverwaltung der Reihe nach abgearbeitet und vollständig umgesetzt. Im Moment, 7 Jahre später, wird dieser Bedarfsplan von uns fortgeschrieben. Die Fortschreibung ist auch ein Punkt, der nicht vergessen werden darf. Ein Bedarfsplan wird nicht einmalig für die Ewigkeit erstellt, sondern sollte in regelmäßigen Abständen fortgeschrieben, das heißt überarbeitet werden. Insbesondere wenn sich Änderungen im Gefahrenpotenzial oder in der Struktur der Feuerwehr ergeben.
FEUERWEHR: Wenn eine Kommune oder eine Feuerwehr auf der Suche nach einem Berater für Bedarfspläne ist, worauf sollte geachtet werden? Gibt es einen Verband oder eine Zertifizierung, auf die man achten sollte?
LÜLF: Theoretisch kann bzw. darf Jedermann einen Bedarfsplan erstellen, was die Suche nach einem geeigneten Berater nicht einfacher macht. Zertifizierungen oder dergleichen gibt es hierfür keine. Es gibt zwar den einen oder anderen „öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen“, jedoch nicht für den abwehrenden (!) Brandschutz. Das Problem dabei ist, dass die Sachverständigen von der IHK zu bestellen sind. Daher gibt es solche Verfahren für den Bereich des Vorbeugenden Brandschutzes (VB). Die operative Gefahrenabwehr ist jedoch in Deutschland keine privatwirtschaftliche Angelegenheit sondern eine hoheitliche Aufgabe und fällt damit nicht in die Zuständigkeit der IHK. Somit ist die Bestellung zum Sachverständigen für abwehrenden Brandschutz nicht möglich. Alternativ sollte man sich die Profile der Berater anschauen. Welche Ausbildung liegt vor, welche Erfahrungshintergründe? Außerdem sollte man die Referenzen hinterfragen. Wie viele Bedarfspläne hat das Unternehmen schon gemacht? Papier ist wie oben schon gesagt geduldig, das gilt auch für Referenzlisten. Also sollte man neben der Quantität auch die Qualität hinterfragen. Daher sollte man unbedingt einige Referenzen abtelefonieren und dort nachfragen – auf der Feuerwehrseite und auf der Verwaltungsseite – wie sich denn die Zusammenarbeit mit dem Berater gestaltet hat. Hat er „nur das Deckblatt gemacht“ oder wurde die Zuarbeit durch Feuerwehr und Verwaltung auf das notwendige, unvermeidbare Maß begrenzt? Hat er das Projekt von seinem Büro aus erledigt oder gab es mehrere Vor-Ort-Termine mit intensiven Begehungen und Befahrungen? Gab es eine hinreichende Projektgruppenarbeit? Hat der Berater nur das „Wunschpapier“ von Feuerwehr oder Verwaltung abgeschrieben oder hat er auch eigene Ideen eingebracht und diese auch entsprechend begründet bzw. verteidigt? Wenn die Vergabe der Beratungsleistung per Ausschreibung erfolgt, sollte man sich spezifische Vergabekriterien überlegen. Weil nach Erfahrungsberichten von Kommunen die Leistungsqualität der verschiedenen Anbieter durchaus unterschiedlich ist, sollte nicht allein der Preis entscheiden. Die Frage der Qualität kann z.B. definiert werden über die Referenzen in Kommunen vergleichbarer Größenordnung und eine notwendige Mindestzahl an hauptberuflichen Mitarbeitern, damit Krankheits- und Urlaubszeiten nicht zum Projektstillstand führen. Für die Glaubwürdigkeit des Ergebnisses in den politischen Gremien kann es mitunter wichtig sein, dass der Berater nicht im Hauptberuf bei einer Feuerwehr beschäftigt, sondern völlig unabhängig ist.
(Das Gespräch führte Urs Weber)
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