Jubiläum der Björn Steiger Stiftung
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Vor 50 Jahren verunglückte der kleine Björn Steiger tödlich. Seine Eltern setzten fortan ihre Energie dafür ein, die Unfallrettung und den Rettungsdienst in Deutschland zu verbessern.
Erschienen in: FEUERWEHR Ausgabe 5/2019
Samstag, der 3. Mai 1969: Der achtjährige Björn Steiger wird in Winnenden (BW) auf dem Heimweg vom Schwimmbad von einem VW Käfer erfasst und verletzt. Obwohl Augenzeugen sofort Polizei und Rettungsdienst alarmieren, dauert es ganze 56 Minuten, bis ein Krankenwagen vor Ort eintrifft. Die Polizei will Björn nicht transportieren, da er Sauerstoff benötigt. Als der erwartete Krankenwagen schließlich eintrifft, hat dieser den benötigten Sauerstoff nicht dabei. Siegfried Steiger ist in dieser schrecklichen Situation bei ihm. Als der Krankenwagen mit Björn zum Krankenhaus nach Waiblingen losfährt, sieht er seinen Sohn das letzte Mal lebend. Als sein Vater in Waiblingen eintrifft, erklärt ihm der Arzt, dass sein Sohn tot ist. Er hat den Transport nicht überlebt. Nicht die Verletzungen haben zum tragischen Tod des kleinen Björn geführt, sondern der Zustand des damaligen Rettungswesens. Björn wäre zu retten gewesen, hätte das System damals funktioniert.
Doch anstatt zu verbittern, packen Ute und Siegfried Steiger an. Sie setzen alle Hebel in Bewegung, damit sich solch eine Tragik nicht nochmal ereignet. Nicht nur die Presse wird mobilisiert, sondern auch die Politik. Bereits am 10. Mai, eine Woche nach Björns Tod, kondoliert Hilda Heinemann, die Frau des einige Wochen zuvor gewählten Bundespräsidenten, und sagt dem Ehepaar Steiger ihre Unterstützung zu. Am 7. Juli 1969 gründen die Steigers dann gemeinsam mit sieben Freunden der Familie die Stiftung.
Modernisierung des Rettungsdiensts
Im November des gleichen Jahres initiieren die Schwaben den Einstieg des baden-württembergischen Rettungsdienstes in den flächendeckenden BOS-Funkverkehr. Während zu dieser Zeit fast alle Taxis über Funk verfügen, ist dies bei den damaligen Krankenwagen nicht der Fall. Also bietet die Stiftung den Landkreisen in Baden-Württemberg an, ein Drittel der Gerätekosten zu übernehmen. Am 7. November 1969 wird das erste Gerät dem DRK überreicht.
Fünf Tage später, am 12. November, fordert Siegfried Steiger mittels eines Offenen Briefes die Innenminister der Länder mit einem 15-Punkte-Programm auf, die Voraussetzungen für den Aufbau eines funktionierenden Rettungsdienstes in Deutschland zu schaffen. Zu den Punkten zählen etwa die Einrichtung der Notrufnummer 110 in allen Ortsnetzen der Bundesrepublik und „die Schaffung eines Berufsbildes mit entsprechenden Ausbildungsvorschriften für den Rettungsfahrer und Beifahrer“. Ein weiterer Punkt: „Gesetzliche Maßnahmen und staatliche Beauftragung der Hilfsorganisationen für den Rettungsdienst. Denn die Hilfsorganisationen betreiben den Rettungsdienst auf Basis der völligen Freiwilligkeit.“
Doch der Offene Brief erzeugt zunächst nicht die gewünschte Reaktion. Der Grund: Niemand fühlt sich für den Rettungsdienst zuständig.
Die Stiftung installiert ab 1971 Hunderte Notruftelefone an Bundes- und Landstraßen und fordert einen kostenfreien Notruf an allen Münztelefonen. Gemeinsam mit der Motor-Presse Stuttgart wird ein vollausgerüsteter Notarztwagen beschafft, der einer deutschen Großstadt übergeben werden soll. Die Bedingung: Das Fahrzeug wird rund um die Uhr besetzt. Diese Zusage will keine Stadt geben. Erst auf Druck der Medien organisiert die Stadt Stuttgart einen Notarztdienst, das Fahrzeug wird am 10. Juli 1971 übergeben.
Dann geht es Schlag auf Schlag: Notrufsäulen an den Autobahnen werden eingerichtet, die Stiftung übergibt jedem Bundesland einen modernen Rettungswagen – mancherorts das erste entsprechende Fahrzeug überhaupt! Ab 1972 steht der Aufbau der Luftrettung im Fokus der Aktivitäten.
Technische Innovationen
Doch nicht nur der Rettungsdienst soll modernisiert werden, auch die Unfallrettung der Feuerwehren. Daher wird zusammen mit dem Esslinger Motorsportjournalisten Eberhard Hemminger und der Stuttgarter Feuerwehr der Schnellbergungswagen (SBW) entwickelt. Die SBW haben die Aufgabe, das notwendige technische Gerät zur Befreiung eingeklemmter Unfallopfer schnell an den Unfallort zu bringen und damit die Überlebenschancen der Verletzten zu erhöhen. Insgesamt zehn solcher SBW finanziert die Stiftung. Heute sind die Fahrzeuge unter der Bezeichnung Vorausrüstwagen (VRW) bekannt – Hunderte Menschen haben in den vergangenen Jahrzehnten dieser Entwicklung ihr Leben zu verdanken. Eine weitere Fahrzeug-Innovation: Baby-Notarztwagen. Trotz der wirtschaftlichen Stärke der Bundesrepublik hat Deutschland bis 1974 die höchste Säuglingssterblichkeit aller Industrienationen. Ursächlich hierfür ist nach Aussagen der Stiftung die praktizierte Trennung von Entbindungs- und Kinderkliniken. Nach der Indienststellung des ersten Baby-NAW mit Transportinkubator in Stuttgart sinkt die Säuglingssterblichkeit in den Entbindungskliniken rund um Stuttgart um 70 %. In den folgenden Jahren finanziert die Stiftung daher insgesamt 14 entsprechende Fahrzeuge, die in ganz Deutschland zum Einsatz kommen.
Grundstein für die heutige Notfallrettung
Alles Einzelerfolge, die Menschenleben retten. Doch noch wichtiger: Die Notfallrettung in Deutschland wird politisches Thema. Die Menschen im Land begreifen, dass die Notfallhilfe selbst in Not ist und einer dringenden Reformierung bedarf. Die Politik ist gezwungen zu handeln. Tatsächlich treten Verbesserungen ein, die damals visionär und uns heute selbstverständlich erscheinen.
Bei aller Kritik am heutigen System, an Eintreffzeiten und verkrusteten Strukturen: Die heutige Situation ist kein Vergleich zum Rettungsdienst des Jahres 1969. Das Ehepaar Siegfried und Ute Steiger hat daran wesentlichen Anteil. Ein halbes Jahrhundert Kampf um Verbesserungen in der Notfallrettung hat Wirkung gezeigt. Den Schmerz um den vermeidbaren Tod ihres Sohnes Björn vor 50 Jahren mag dies nicht mildern. Grund, stolz auf das Erreichte zu sein, haben die Steigers jedoch allemal.
Urs Weber
Interview mit Tobias Langenbach (Pressesprecher der Björn Steiger Stiftung)
Feuerwehr: Vor 50 Jahren starb Björn Steiger an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Statt zu verbittern, haben seine Eltern zugepackt und die Björn Steiger Stiftung gegründet. Was hat diese seitdem erreicht?
Langenbach: Die Björn Steiger Stiftung hat seit ihrer Gründung vieles auf den Weg gebracht. Vor allem hat sie vieles mit angestoßen, was uns heutzutage als völlig selbstverständlich erscheint und nicht mehr wegzudenken ist: bundesweiter Notruf 110/112, Notruftelefone am Straßenrand, Einführung des Rettungsdienstes, Sprechfunk für die Notfallhilfe, Aufbau der Luftrettung, Notarzt-Einsatzfahrzeuge, Vorausrüstwagen der Feuerwehr … Ich könnte noch mehr aufzählen. Damit ist der Beitrag der Björn Steiger Stiftung für ein modernes Rettungswesen enorm. Und auch heute sind wir sehr aktiv. Wir kämpfen unter anderem gegen den Herztod, schulen Jung und Alt in Erster Hilfe, sorgen für schnelle Ersthelfer-Alarmierung per App und für sicheren und schonenden Frühchen-Transport. Hier eine Zahl, die das Engagement verdeutlicht: Über die Jahre hat die Stiftung bis heute rund 26.000 Laien-Defibrillatoren in Verkehr gebracht. Jedes Leben, das dadurch gerettet wurde, ist ein großer Erfolg und Motivation zum Weitermachen.
Feuerwehr: Der heutige Rettungsdienst ist mit dem aus dem Jahr 1969 kaum vergleichbar. Wieso ist es dennoch wichtig, auch heute für eine moderne Notfallhilfe zu kämpfen?
Langenbach: Das stimmt, über die Jahre hat sich viel getan. Dennoch sind wir noch längst nicht da, wo wir hinmüssen. Nehmen wir das Beispiel „Struktur des Rettungsdienstes“. Die notfallmedizinische Versorgung ist in jedem Bundesland unterschiedlich. Der Grund hierfür: Der Rettungsdienst liegt in der Verantwortung des jeweiligen Bundeslands. Das heißt konkret, dass es zwischen den einzelnen Bundesländern – teilweise sogar zwischen einzelnen Regionen innerhalb eines einzigen Landes – unterschiedliche Vorgaben gibt, wie Notfallpatienten versorgt werden. Wie gut die Versorgung im Notfall ist, darf doch aber keine Frage des Wohnorts und damit des Zufalls sein. Der Notfallpatient muss sich darauf verlassen können, dass der Rettungsdienst, egal zu welcher Uhrzeit und in welcher Region er tätig ist, gleich hohe Versorgungsstandards erfüllt. Qualität, Ausbildung, Hilfsfrist, bundesweite Standardisierung – das sind alles Punkte, die dringend verbessert werden müssen. Unsere Stiftung wird daher Anfang Juli einen Fachkongress in Berlin ausrichten, der Wege zum Rettungsdienst der Zukunft aufzeigt. Experten aus unterschiedlichsten Bereichen bringen Lösungsansätze ein und stellen Best-Practice-Beispiele vor, die bereits in Teilen Deutschlands oder im Ausland umgesetzt werden. Wir wollen also nicht nur den Finger in offene Wunden legen. Wir wollen konstruktiv daran mitarbeiten, dass sich die Lage im Sinne des Notfallpatienten ändert. Und auch im Bereich der Laien-Nothilfe lohnt es sich für uns, weiter zu kämpfen und uns weiterhin zu engagieren. Wir betrachten dieses Engagement als optimale Ergänzung zu der rettungsdienstlichen Versorgung. Wenn beispielsweise Laien wissen, wie sie einen Laien-Defibrillator bedienen, Hemmungen vor Erster Hilfe verlieren oder wenn im Notfall qualifizierte, per App alarmierte Ersthelfer zur Stelle sind, können Leben gerettet werden. Das ist und bleibt Ansporn für uns.
Feuerwehr: Welche Verbesserungen sind aus Ihrer Sicht heute besonders wichtig?
Langenbach: Bei all den Aspekten, über die wir gesprochen haben, geht es darum, ob Leben gerettet werden. All die von uns eingebrachten Verbesserungen und Projekte behandeln wir daher mit hoher Priorität. Ganz grundsätzlich glauben wir aber, dass ein Umdenken stattfinden muss. Der Notfallpatient mit seinen Bedürfnissen muss wieder in den Vordergrund. Daran muss eine gute notfallmedizinische Versorgung ausgerichtet sein. Der Rettungsdienst ist heute der Ausputzer für jede Veränderung im Gesundheitswesen. Aufgrund von Personalmangel muss aber das System angepasst werden. Veränderte, zentralisierte Klinikstrukturen, steigendes Notrufvolumen, zunehmende Arbeitsbelastung für Rettungskräfte, das Aussetzen der Wehrpflicht und des Zivildienstes, der sozusagen ein natürliches Rekrutierungstool für Hilfsorganisationen war … das sind nur einige Beispiele für Veränderungen, die eine Neujustierung des Systems erforderlich machen. Das muss sehr grundsätzlich angegangen werden. Patientensteuerung und Leistung des Rettungsdienstes müssen neu gedacht und gestaltet werden. Neue Innovationen müssen Rettungskräfte mehr als bisher entlasten, die ich ausdrücklich von jeglicher Kritik ausnehme. Sie selbst leiden unter den zunehmenden Belastungen und brauchen Unterstützung durch eine Reform des Systems. Bei dieser Reform ist auch der Gesetzgeber gefordert. Er muss, wie oben erwähnt, Sicherheit und bundesweit einheitliche Standards schaffen.
Feuerwehr: Welche konkreten Ziele hat die Björn Steiger Stiftung für die Zukunft?
Langenbach: Im Bereich Rettungsdienst soll unser Kongress den Anstoß für Veränderungen geben. Die Stiftung wird sich für die dort vorgestellten Forderungen bundesweit einsetzen und für Veränderung kämpfen. Und wir wollen und werden natürlich auch unsere Projekte in der Notfallhilfe weiter voranbringen. Aktuell statten wir beispielsweise bereits ganze Landkreise und Städte mit Laien-Defibrillatoren aus und schulen die Bevölkerung in Erster Hilfe. Das wird weitergehen. Seit Februar sind auch die „Mobilen Retter“ ein Projekt unserer Stiftung. Das heißt, wir werden weiter daran arbeiten, die Alarmierung von qualifizierten Ersthelfern per App voranzutreiben und neue Regionen zu erschließen. Das sind nur einige unserer Ziele.
Feuerwehr: Wie geht es Siegfried und Ute Steiger heute?
Langenbach: Unsere Stiftungsgründer freut es sehr, sehen zu können, wie ihr Sohn – unser Präsident Pierre-Enric Steiger – die Stiftung inzwischen führt. Pierre Steiger hat im Januar 2010 als Präsident übernommen, nachdem sich das Ehepaar Steiger 40 Jahre lang für die Notfallhilfe in Deutschland engagiert hatte. Er führt unsere Stiftung in die Zukunft. Und dafür sind wir sehr gut aufgestellt.
Foto (Beitragsübersicht): © Björn Steiger Stiftung
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