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Gewalt gegen Einsatzkräfte – nicht nur an Silvester eine Gefahr

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Die Ereignisse der Silvesternacht 2022 machen stutzig, sorgen für Ungläubigkeit und führen teils zu starken Gegenreaktionen. Das Alles hat seinen Platz in der Debatte um den Schutz von Einsatzkräften. Aber vergessen werden darf dabei nicht, dass Gewalt gegen Einsatzkräfte kein Novum in der Bundesrepublik darstellt, sondern schon seit Längerem existiert. Im Folgenden wird vor allem auf die betroffenen Feuerwehrleute geblickt, ohne jedoch die Gewalt gegenüber Polizei und anderen Rettungskräften relativieren zu wollen.

Symbolbild Gewalt gegen Einsatzkraefte Steinewerfer
Gewalt gegen Einsatzkräfte hat viele Gesichter, von der verbalen Gewalt bis zu körperlichen Angriffen wie z.B. durch „Steinewerfer“. Foto: Stefan Wagner

Inhaltsverzeichnis

  1. „Unsere Einsatzkräfte – unsere Sicherheit!“
  2. Keine Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte
  3. Fazit: Gewalt gegen Einsatzkräfte – Zivilgesellschaft, wo bist du?

 

„Unsere Einsatzkräfte – unsere Sicherheit!“ 

Das war der Slogan einer Resolution des Deutschen Feuerwehrverbands von 2018. Anlass dafür war das in den Jahren 2015 bis 2018 gestiegene Maß an gewalttätigen Übergriffen auf Feuerwehrmänner und -frauen. Die 65. Delegiertenversammlung des DFV – also die Vertreter aller Feuerwehrverbände aus den Bundesländern Deutschlands – forderten darin, dass anhand einer Agenda mit fünf Punkten der Schutz der Feuerwehrleute erhöht werden müsse:

  1. Mehr Respekt vor Einsatzkräften
  2. Sensibilisierung der Bevölkerung
  3. Werte vermitteln, Werte schätzen
  4. Strafverschärfung und konsequente Strafverfolgung
  5. Feuerwehrangehörige nicht im Stich lassen

Mit Blick auf die gezielten Angriffe auf Rettungskräfte in der Nacht des 31.12.2022 stechen davon vor allem drei Punkte ins Auge: Mehr Respekt vor Einsatzkräften, erreichbar durch Sensibilisierung der Bevölkerung und einer allgemeinen Strafverschärfung.
Aufgrund der Erwartung, dass vor allem Strafverfolgung zur Hemmung vor Gewaltakten führt, fordert der DFV in der Resolution bereits bei verbalen Bedrohungen ein angemessenes Strafmaß, da diese bislang nicht strafrechtlich verfolgt werden (können).

Erneute Resolution vom 24. Juni 2022

Im Zuge des 29. Deutschen Feuerwehrtags, der parallel zur Weltleitmesse für Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz „Interschutz“ im Juni 2022 in Hannover stattfand, wurde auch das „Symposium Gewalt gegen Einsatzkräfte“ abgehalten. Dabei wurde am 24. Juni 2022 erneut eine Resolution unterzeichnet. Darin rufen Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport des Landes Niedersachsen, Karl-Heinz Banse, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), und Belit Onay, Oberbürgermeister der Stadt Hannover, erneut dazu auf, die anhaltenden Übergriffe von politischer Seite zu beenden. Dazu äußert Boris Pistorius:

„Wenn es nicht gelingt, hier einen echten Kulturwandel herbeizuführen, wird das Ehrenamt von unten sterben. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen dieses Thema immer wieder öffentlich machen, denn wir brauchen in diesen Fällen eine klare Haltung aller Bürgerinnen und Bürger. Es muss klar sein, dass derartiges Verhalten auch entsprechende strafrechtliche Folgen hat!“

Banse und Pistorius bei der Unterzeichnung der Resolution zu Gewalt gegen Einsatzkräfte
Erneutes Signal: (v. l.) Die Gewalt gegen Einsatzkräfte nimmt nicht ab. Boris Pistorius und Karl-Heinz Banse bei der Unterzeichnung einer weiteren Resolution beim 29. Deutschen Feuerwehrtag am 24. Juni 2022 in Hannover. Foto: Harald Laier/Deutscher Feuerwehrverband

Um die Beweislage bei derartigen Vergehen zu sichern, sind nach den Angriffen der letzten Silvesternach auch wieder Dashboard- und Body-Kameras für Einsatzkräfte in der Diskussion, ebenso wie ein Verbot von Feuerwerkskörpern für Privatpersonen oder zumindest in bestimmten Zonen. Jedoch zeigen erste Praxisberichte, dass der Einsatz von Videokameras alles andere als unproblematisch ist.

Bereits im August 2021 starteten Polizei und Feuerwehren in Berlin ein Pilotprojekt mit 30 Bodycams. Schnell wurde klar, dass die Anzahl der Kameras zu gering war, um realistische Rückschlüsse ziehen zu können. Deshalb wurde das Kontingent nach einer kurzen Unterbrechung auf 300 erhöht (die letztendliche Auswertung der Aktion soll aber erst im Laufe von 2024 stattfinden).
Nun zu den Problemen beim Einsatz von Kameras im Rettungswesen:

  • Die (hier genutzten) Kameras können nicht durchgehend filmen, sondern müssen nach Ermessen der Einsatzkräfte an- und ausgeschaltet werden. Bei plötzlichen Übergriffen kann es dann aber bereits zu spät sein.
  • Bodycams sind eher nur bei einer direkten „face-to-face“-Konfrontation brauchbar. Auf größere Entfernung, bei schlechter Sicht oder Gruppengewalt, wie an Silvester, liefern sie selten strafrechtlich verwertbares Bildmaterial und haben gegebenenfalls auch weniger Abschreckungspotenzial.

Es bleibt abzuwarten, wie Politik, Gesellschaft und Justiz auf die zunehmende Gewalt gegen Einsatzkräfte reagieren und welche Lösungsansätze letztendlich umgesetzt werden. Dabei können Bodycams situativ durchaus sinnvoll sein, ihr Mehrwert vor allem bei Feuerwehreinsätzen sollte aber dennoch kritisch geprüft werden.

Verbranntes Berliner LF 1. Mai 1987
Dass Gewalt gegen die Feuerwehr und andere Rettungskräfte nicht neu ist, zeigt dieses Bild aus Berlin-Kreuzberg. Das Löschfahrzeug wurde in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 1987 mit einem Molotov-Cocktail in Brand gesetzt. Foto: Stefan Wagner

 

Strafrechtlicher Schutz der Feuerwehr

Seit der Änderung des Strafgesetzbuches (StGB) im Jahr 2017 durch das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ sind Feuerwehrleute und Rettungspersonal, in Bezug auf die Strafbarkeit von Gewaltdelikten während des Einsatzes der Polizei gleichgestellt. Zudem wurden die Strafen für Gewalt gegen Einsatzkräfte verschärft. Somit sieht das StGB bei Gewalt oder Drohungen mit Gewalt gegenüber Amtsträgern während der Ausübung ihres Dienstes gemäß § 113 Haftstrafen von bis zu 5 Jahren vor.

→ Wie häufig die Gewalt gegen Einsatzkräfte ist, zeigt auch der Umstand, dass die Staatsanwaltschaften Lübeck und Itzehoe Anfang 2019 Sonderdezernate für Straftaten gegen Einsatzkräfte eingerichtet haben.

 

„Wie soll man jemanden für den Dienst an der Gesellschaft motivieren, wenn sich Teile dieser Gesellschaft gewalttätig dagegenstellen?“

Diese Frage stellt DFV-Präsident Karl-Heinz Banse in der ersten DFV-Pressemitteilung des Jahres 2023. Damit greift er wiederum eine Problematik auf, die vor allem bei FF schon länger Thema ist. Denn oft hinterfragen Ehrenamtliche nach erlebter Gewalt gegen Einsatzkräfte den Sinn hinter der eigenen freiwilligen Arbeit.
Das ist umso folgenschwerer, da deutschlandweit etwa eine Million Menschen in einer FF aktiv sind. Wie drängend das Problem ist, zeigt sich in einem Interview mit Karl-Heinz Banse von der DGUV in der Februar-Ausgabe 2022 von „DGUV kompakt“.

Keine Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte

Bereits Ende 2021 veröffentlichte der DFV zusammen mit der DGUV eine repräsentative Umfrage unter 2.700 Feuerwehrleuten, die Gewalt gegen Einsatzkräfte zum Thema hatte. Von den Befragten gab mehr als ein Drittel an, bereits Erfahrungen mit Gewalt im Einsatz gemacht zu haben. Die häufigste Form des Übergriffs sei dabei die Beschimpfung oder Beleidigung der Einsatzkräfte. Das führe z. T. zu einer zusätzlichen starken psychischen Belastung der Feuerwehrleute. Problematisch bei dieser Art der Gewalt ist auch, dass eine sehr hohe Dunkelziffer vermutet werden muss, da derartige Übergriffe oft nicht gemeldet oder bagatellisiert werden.

Kampagnenmotiv fuer ein sicheres Deutschland
Kampagnenmotiv des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat. Foto: BMI

„In jeder Uniform steckt ein Mensch“

Mit der Online-Kampagne „Respekt – für unsere Sicherheit: In jeder Uniform steckt ein Mensch “ reagierte die Stadt Landshut Mitte 2022 auf die gestiegene Gewalt gegen Einsatzkräfte. Damit wurde die bundesweite Aktion „Polizei und Rettungskräfte. Für ein sicheres Deutschland“ aufgegriffen und mit unterschiedliche Gewalterfahrungen verschiedener Einsatzkräfte auf das Problem aufmerksam gemacht.
Ein konkreter Auslöser für das Landshuter Vorgehen war ein Übergriff auf Polizisten bei der Frühjahrsdult (Jahrmarkt). Aber auch der Pressesprecher der Freiwilligen Feuerwehr, Dominik Zehatschek, befürwortet die Aktion. Denn vor allem bei Straßensperren seien Feuerwehrleute oft verbaler Gewalt ausgesetzt und es sei kein Einzelfall, dass die Einsatzkräfte mit Fahrzeugen bedrängt oder sogar angefahren werden.

Die Videos zur Kampagne hat die Stadt Landshut auf ihrer Facebookseite veröffentlicht, auch auf YouTube wurden sie geteilt. Etwa die Schilderungen von Feuerwehrmann Michael Aichinger:

 

Fazit: Gewalt gegen Einsatzkräfte – Zivilgesellschaft, wo bist du?

Die Vorkommnisse der Silvesternacht 2022 auf 2023 sind nur der Gipfel des Eisbergs, wenn es um Gewalt gegen Einsatzkräfte geht. Von einem punktuellen Phänomen kann dabei nicht gesprochen werden, wie die unterschiedlichen Studien und Erfahrungsberichte zeigen. Ganz im Gegenteil: Einsatzkräfte sehen sich neben den immensen Herausforderungen ihres beruflichen oder freiwilligen Alltags oft auch persönlichen Angriffen ausgesetzt.
Dabei ist nicht nur die steigende Häufigkeit der gewalttätigen Übergriffe der letzten Jahre besorgniserregend, sondern auch das Ausmaß, mit welchem derartige Gewaltaktionen geduldet werden. Denn eines scheint klar: Neben einem Täter oder der Täterin gibt es meistens auch Personen, die zuschauen und tatenlos daneben stehen. An dieser Stelle sollen die unterschiedlichen Aktionen sensibilisieren und nicht nur die Gewalt gegenüber Einsatzkräften reduzieren, sondern die Zivilgesellschaft anregen, die Einsatzkräfte in ihrer Arbeit zu unterstützen.

Kampagnenmotiv #schlussdamit
Ein weiteres Beispiel ist die Kampagne #schlussdamit der Polizei und Feuerwehren Niedersachsen. Quelle: Polizeidirektion Hannover

Viele Menschen bekunden dieser Tage ihre Unterstützung für die Rettungskräfte und verurteilen die Taten der Silvesternacht deutlich. Jede solche Wortmeldung beweist, dass ein Großteil der Menschen hinter den Feuerwehrleuten, Rettungsdienstlern und Polizeiangehörigen stehen. Zwar stellt sich ein Teil der Gesellschaft, wie Karl-Heinz Banse sagt, gewalttätig gegen die Rettungskräfte. Doch viele andere stehen Ihnen zur Seite.

Johannes Morelli,
Redaktion 

Quellen

  • www.n-tv.de
  • www.lto.de
  • Pressemitteilung Nr. 68/2021 DFV
  • Pressemitteilung Nr. 01/2023 DFV
  • Interview mit Karl-Heinz Banse:  KOMPAKT – Nachrichten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung 02/2022

 

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One thought on “Gewalt gegen Einsatzkräfte – nicht nur an Silvester eine Gefahr

  • 11. Januar 2023 um 8:49
    Permalink

    Diese Problematik besteht eigentlich schon so lange, wie ich bei der Berliner Feuerwehr bin. Ich habe im Jahr 1972 auf der Feuerwache Wedding angefangen.
    Damals gab es allerdings noch keine Smartphones und kein Internet, welches diese Videos anschließend in alle Welt senden konnte. Auch wurden Angriffe auf uns von der Branddirektion tunlichst verschwiegen und auch nicht an die Presse weitergeleitet. Dieses Thema wurde in den 70er Jahren regelrecht tabuisiert.
    Dabei sind wir nicht nur Silvester mit Raketen und Schreckschusspistolen beschossen worden, sondern wir wurden auch nachts, in den Weddinger Kneipen angegriffen. Deshalb ließen wir damals auch als Rettungswagenbesatzung, sogar unsere Helme auf. Ich kann mich gut an mehrere Einsätze erinnern, wo wir mit dem Löschgruppenfahrzeug zum „Eigenschutz“ ausrücken mussten, weil unsere Unfallwagenbesatzungen um Hilfe gerufen haben.
    Als ich 1980 auf die Feuerwache Urban versetzt wurde, begannen uns die ersten autonomen Hausbesetzer mit Pflastersteinen zu attackieren, nachdem wir fast jede Nacht ihre brennenden Barrikaden, Müllcontainer und umgestürzte Bauwagen ablöschen wollten. Auch diese Angriffe wurden in der Presse kaum registriert. Zunehmend konnten wir Einsatzstellen nur unter Polizeischutz erreichen.
    Diese Ausschreitungen endeten bekanntlich in den 1. Mai Krawallen 1987. Wir waren damals mit vier kompletten Löschzügen auf der Feuerwache Kreuzberg stationiert, die nach tätlichen Angriffen morgens, alle schwer beschädigt waren und kein Scheiben mehr hatten. An diesem Abend wurde auch ein Reserve-LF der Feuerwache Kreuzberg, in einen Hinterhalt gelockt, geplündert und in Brand gesetzt. (Stephan Wagner hat das ausgebrannte Fahrzeug in diesem Artikel oben abgebildet).
    Damals wurde vieles ignoriert und nicht erwähnt. Es ist gut, dass man heute endlich auch die Angriffe auf Rettungskräfte von der Politik und den Medien öffentlich diskutiert, und auf das Schärfste verurteilt. Ich denke, die Gesetze sind vorhanden, sie müsste nur schneller und konsequenter von den Gerichten durchgesetzt werden. Der Schmusekurs gegenüber Gewalttätern hat sich wohl nicht ausgezahlt.
    Jürgen Zimmermann, HBM a.D.

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