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Eisenbahnunglück in Aitrang (1971): Finissage einer bemerkenswerten Ausstellung

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In Aitrang (LK Ostallgäu, BY) entgleist am 9. Februar 1971 ein Trans-Europ-Express (TEE) „Bavaria“, in seine Trümmer prallt ein entgegenkommender Nahverkehrszug. Die Ursache des schweren Eisenbahnunglücks konnte nie geklärt werden. Das Feuerwehrmuseum Kaufbeuren-Ostallgäu e.V. und die Eisenbahnfreunde Kaufbeuren haben unglaubliche Recherchearbeit geleistet, um das Geschehen in einer Sonderausstellung zu würdigen. Am 5. Oktober 2023 fand die Finissage statt.

Gäste der Finissage vor dem Diorama des Zugunglücks. Foto: Sarah Altendorfer
Gäste der Finissage vor dem Diorama des Zugunglücks. Foto: Sarah Altendorfer

Eine Katastrophe nimmt ihren Lauf

Anfang Februar 1971 hat winterliche Kälte den bayerischen Landkreis Ostallgäu im Griff. Am 9. Februar herrscht zudem dichter Nebel, als der TEE 56 Bavaria (Verbindung München-Zürich) den Landkreis von Kaufbeuren kommend durchquert. 53 Fahrgäste sind an Bord, mit ihnen der Lokführer, ein Techniker, der Zugbegleiter und das Personal des Speisewagens.

Kurz vor dem Aitranger Bahnhof fährt der TEE in eine scharfe S-Kurve, später wird sie in den Zeitungen mehrfach als „Todeskurve“ bezeichnet. Der TEE nimmt sie um 18.45 Uhr mit 128 km/h – zugelassen sind aber höchstens 80 km/h. Bei Streckenkilometer 34,371 entgleisen der Steuer- und der Speisewagen. Ihnen folgen ein Mittelwagen, der sich querstellt, sowie der 114 t schwere Motorwagen, der zwischen den Gleisen zum Liegen kommt.

Der verunglückte Steuerwagen des TEE am 10. Februar 1971. Foto: Archiv Feuerwehrmuseum Kaufbeuren-Ostallgäu
Der verunglückte Steuerwagen des TEE am 10. Februar 1971. Foto: Archiv Feuerwehrmuseum Kaufbeuren-Ostallgäu

Der Fahrdienstleiter im Bahnhof Aitrang erhält dadurch die Meldung, beide Gleise des Streckenabschnitts seien besetzt. Weil sich auf dem Gegengleis bereits ein Nahverkehrszug aus Kempten nähert, nimmt er sofort dessen Einfahrerlaubnis zurück. Doch es ist zu spät: Der Lokführer bremst seinen Zug noch auf unter 40 km/h, kann aber den Aufprall auf den Motorwagen des TEE nicht mehr verhindern. Seit der Entgleisung des TEE verging gerade einmal eine Minute.

Bei dem Unglück verlieren 28 Menschen ihr Leben, 42 werden verletzt, unzählige weitere werden ihr Leben lang mit den Erinnerungen kämpfen. Die Unfallursache blieb bis heute ein Rätsel.

Diorama: Es ist das Herzstück der Ausstellung und zeigt die Bergung des Maschinenwagens durch zwei Eisenbahnkräne am Tag nach dem Unfall. Foto: Sarah Altendorfer
Diorama: Es ist das Herzstück der Ausstellung und zeigt die Bergung des Maschinenwagens durch zwei Eisenbahnkräne am Tag nach dem Unfall. Foto: Sarah Altendorfer

Die unglaubliche Leistung hinter einer Sonderausstellung 

Diese Ereignisse konnten die Ehrenamtlichen der Eisenbahnfreunde Kaufbeuren und des Feuerwehrmuseums Kaufbeuren-Ostallgäu aus historischen Zeitungsausschnitten rekonstruieren, als sie eine Sonderausstellung anlässlich des 50. Jahrestags der Katastrophe am 9. Februar 2021 planten. Doch sie ließen es nicht dabei bewenden, sondern legten einen unglaublichen Forschergeist zutage.  Rund 1,5 Jahre lang bereiteten sie die Sonderausstellung vor – in rund 1.000 Arbeitsstunden und mit über 5.000 Euro Gesamtaufwand. Bei einer Finissage zur Ausstellung berichtete Hartmut Klust (Eisenbahnfreunde Kaufbeuren) mit Unterstützung von Christoph Heider (Feuerwehrmuseum Kaufbeuren) von dem Unglück.

Blick auf einen Teil der Sonderausstellung mit Diorama und der Schautafel inklusive Filmvorführung zu den historischen Medienberichten. Foto: Sarah Altendorfer
Blick auf einen Teil der Sonderausstellung mit Diorama und der Schautafel inklusive Filmvorführung zu den historischen Medienberichten. Foto: Sarah Altendorfer

Akribische Suche 

Das Team recherchierte in Vorbereitung auf die Ausstellung intensiv. Es trug Bilder und Filmmaterial  zusammen und befragte 11 Zeitzeugen, der älteste 94 Jahre alt. „Manche von ihnen haben zum ersten Mal über diesen Tag gesprochen – fast 50 Jahre später!“, erzählt Christoph Heider und man merkt ihm an, wie dankbar er ist, dass ihre Erlebnisse geteilt haben. „Einigen fiel das auch so viele Jahre später noch sichtlich schwer, aber sie wollten uns dennoch dabei unterstützen, das Unglück aufzubereiten. Und einige konnten dadurch auch auf ihre Art mit dem Erlebten abschließen“, ergänzt er. Um ihre Geschichten erzählen zu können, musste das Team die Augenzeuginnen und –zeugen erst einmal finden. „Hier hat uns die Gemeinde Aitrang, einer der Mitorganisatoren der Ausstellung, mit einem Aufruf an Menschen, die damals dabei waren, unterstützt“, berichtet Hartmut Klust.

An dieser Schautafel sind Augenzeugenberichte und Fotos zu sehen. Foto: Sarah Altendorfer
An dieser Schautafel sind Augenzeugenberichte und Fotos zu sehen. Foto: Sarah Altendorfer

Bis ins kleinste Detail

Das Herzstück der Sonderausstellung, die zudem zahlreiche Medienberichte, die Erzählungen der Augenzeuginnen und –zeugen sowie materielle Zeitzeugen sammelte, ist ein Diorama des Unglücks im Maßstab 1:87 (H0). Es zeigt den Moment am Mittag des 10. Februar 1971, als zwei Eisenbahnkräne zur Bergung des verunglückten Maschinenwagens voll aufgestellt sind.

Immer größer wurde das Staunen auf den Gesichtern der Finissage-Gäste mit jedem Detail, das Klust an dem Diorama zeigt. „Wir wollten es wirklich so korrekt wie nur möglich machen“, betont er, „wir haben z. B. soweit es noch möglich war die Kennzeichen sämtlicher Fahrzeuge vor Ort ermittelt und auf die Modelle aufgeklebt.“ Für die Verformung der Waggons sichtete das Team alle Bilder und Videos, die es erhalten konnte, um die Dellen, Kratzer, gesprungenen Scheiben und auch Blutspuren so exakt wie möglich nachzubilden.

Hartmut Klust beschreibt den Gästen die Erstellung des Dioramas. Foto: Sarah Altendorfer
Hartmut Klust beschreibt den Gästen die Erstellung des Dioramas. Foto: Sarah Altendorfer

Die Helfer/-innen rechneten die exakte Kurvenüberhöhung der Gleise in der Kurve im Maßstab 1:87 um, stellten die Beschädigung der Gleisstränge exakt nach, ermittelten den genauen Ort, an dem die Ersthelfenden Gepäckstücke aus den Unfallwaggons gestapelt hatten und jenen, an dem das Kameraobjektiv der Polizei gestanden haben muss. Sie ermittelten „etliche unterschiedliche Schneesituationen“ an der Unfallstelle. So waren etwa auf den der Sonne zugewandten Stellen nur noch Schneefelder vorhanden, teils war der Schnee durch Menschen, die verunfallten Waggons und Fahrzeuge der Hilfskräfte zusammengedrückt und mit dem Erdreich vermischt. Fahrzeugmodelle und Einzelteile, die nicht (mehr) über den Handel oder von privat zu beziehen waren, baute man vollständig selbst nach. „Richtig schwer fiel es uns, das von Roco gespendete TEE-Modell zu ‚zerstören‘, um die Schäden an den Wagen nachzustellen“, gibt Klust zu – aber es war ja für den guten Zweck. „Ihr seid ja verrückt!“, sagt ein Zuschauer ehrfürchtig, während er Klusts „Baubericht“ lauscht. Die meisten Anwesenden nicken zustimmend.

Anlässlich der Eröffnung der Sonderausstellung 2021 entstand auch die Informationstafel für die Gedenkstelle an der Unglücksstelle. Foto: Sarah Altendorfer
Anlässlich der Eröffnung der Sonderausstellung 2021 entstand auch die Informationstafel für die Gedenkstätte an der Unglücksstelle. Foto: Sarah Altendorfer

Letzte Besuchsmöglichkeiten

In das Museum wurde das Diorama übrigens wegen seiner Größe durch ein Fenster gebracht – mit der Drehleiter der Feuerwehr Kaufbeuren. Es wird auch weiterhin im Museum verbleiben – die weiteren Exponate der Sonderausstellung sind noch bis Ende Oktober 2023 zu sehen.

Sarah Altendorfer,
Redaktion

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